Oliver Hell - Der Mann aus Baku (Oliver Hells zweiter Fall) (German Edition)
Sechsunddreißig mal achtundvierzig Fliesen maß der Raum in der Breite und der Länge. Eintausendsiebenhundertachtundzwanzig Fliesen. Ihr Blick flog weiter. Auf dem fahrbaren Instrumententisch in der Ecke lagen insgesamt vierzehn Instrumente. Zwei Pinzetten, drei Scheren, vier Sterilskalpelle, drei Nadelhalter und zwei Dosen mit Nähnadeln. Daneben standen je drei Nieren- und drei Laborschalen. Der Tisch hatte noch vier Schubladen. Sie konnte sich soeben bremsen, sie zu öffnen, und den Inhalt zu zählen.
Die beiden Laborantinnen falte ten das Laken. Sie bedankte sich bei den beiden Frauen mit einem kleinen Lächeln. Ihre Laborkittel waren grün und wurden jeweils mit 5 Knöpfen geschlossen. Sie hatten zwei Taschen unten, zwei Taschen oben. In der oberen rechten Tasche der blonden Frau steckten drei Stifte, ein weißer und zwei blaue. Mit einem Gruß verabschiedeten sie sich von ihr. Die beiden Flügel der Türe fielen zu.
Aufatmen. Dr. Pü tz schloss erleichtert ihre Augen. Nach ein paar Sekunden öffnete sie sie wieder, schaute an die Decke. Acht Neonröhren. Sie tastete nach ihrer großen Tasche, die sie auf dem Boden abgestellt hatte. Darin befanden sich ihr Zeichenblock und ihre Zeichenutensilien. Sie atmete tief durch, trat neben die Tote und begann mit ihrer Arbeit.
*
Oliver Hell betrachtete sich im Spiegel. Unter seinen Augen waren die dunklen Ringe verschwunden, die noch im Sommer nicht zu übersehen gewesen waren. Als er sich Sorgen machte um seinen Sohn. Als er den Killer Hesse gejagt hatte. Seit dem waren drei Monate vergangen. Jetzt ging es ihm deutlich besser. Der Erfolg hatte ihn wieder beflügelt. Die Presse hatte positiv über das Team geschrieben, nachdem sie während der Fahndung nach Hesse nichts Gutes zu berichten wussten. Man konnte nicht sagen, dass er wie früher für seine Arbeit brannte, aber er war wieder im Geschäft. Einzig die Sorge um Christoph war geblieben.
Hell hatte sich den Nachmittag frei genommen, um zu seinem Sohn in die LVR zu fahren. Er knö pfte sein Jackett zu. Betrachtete sich im Spiegel und knöpfte es wieder auf. Stattdessen öffnete er sogar den obersten Knopf des Hemdes. So war es besser. Er traf sich in einer Stunde mit Dr. Franziska Leck im LVR. Sie hatte ein Treffen dort angeregt. Begleitend zum Entzug in der Klinik, wollte sie zusätzlich dem Vater-Sohn-Konflikt zu Leibe rücken. Er freute sich darauf, sie wiederzusehen. Sehr sogar. Er stellte in Gedanken den Becher mit dem kalten Kaffee auf die Fensterbank und schaute hinaus. Es war windig, aber es regnete nicht.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er sein Ha ndy eingesteckt hatte, zog er die Bürotür mit einem lauten Knall ins Schloss.
Von seiner Dienststelle in der Bonner Innenstadt bis zur Klinik war es nur ein kleiner Spaziergang. Mit dem Auto wü rde er vermutlich länger brauchen, als zu Fuß. Daher ließ er den Wagen in der Tiefgarage stehen. Er trat vor die Türe, nachdem er den beiden diensthabenden Beamten einen Gruß zugewunken hatte. Kein Regen, dafür war der Wind sehr kalt. Er schob den Kragen des Mantels hoch und ging los. Nach ein paar Metern bog er rechts ab in die Adolfstraße. Nach einhundert Metern erreichte er die Straße Am Frankenbad. Dort bog er links ab, ging weiter, bis er auf den Hochstadenring stieß. Der wurde später zum Kaiser-Karl-Ring. Dort befand sich die Klinik. Hell hatte Kopfkino. Wie würde es ablaufen? Wie würde Christoph drauf sein? Man konnte nie wissen, wie man sich während des Entzuges fühlte. Aber noch mehr beschäftigte ihn das Wiedersehen mit Dr. Leck. Er fieberte dem geradezu entgegen.
Hell stand an der Ampel und wartete auf die Gr ünphase. Du bist ein wirklich mieser Vater, dachte er. Dir ist mehr an der Therapeutin gelegen, als an deinem Sohn. Christoph durfte auf keinen Fall bemerken, dass er Interesse an dieser Frau hatte. Sonst würde er sicher wieder auf stur schalten. Der Therapieerfolg konnte dadurch gefährdet werden.
Er wü rde sich in der Klinik zurückhalten. Danach würde er sie nach einem privaten Treffen fragen. Sicher mit einem stürmischen Herzklopfen. Die Ampel sprang auf grün.
Kapitel 5
Die Byzantiner benutzten seit dem siebten Jahrhundert auf ihren Dromonen eine einzigartige Waffe. Eine Dromone war ein fü r die damalige Zeit riesiges Kriegsschiff mit bis zu einhundert Riemen und fünfzig Ruderern in zwei Ebenen auf jeder Schiffsseite. Neben der dreihundert Mann starken Besatzung trug sie eine
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