Oliver Hell - Der Mann aus Baku (Oliver Hells zweiter Fall) (German Edition)
und ging durch die Türe, blickte nach rechts in den offenen Frühstückssaal, in dem ein paar Gäste beim Abendessen saßen. Fünfzehn Tische, fünf Gäste. Die schienen dort auf jemanden zu warten. Sie orientierte sich kurz und ging nach links zur Rezeption herüber. Die junge Frau an der Rezeption legte ihr den Anmeldebogen vor. Einhundertsiebenundvierzig Zimmer, drei Etagen, fünfzig Zimmerschlüssel hingen brav auf ihren Haken. Mit der verbundenen linken Hand hielt sie den Block fest. Nachdem sie sich eingetragen hatte, und ihren Trolly wieder an dem Bügel hinter sich herzog, stellte sie sich vor den Aufzug. Augen geschlossen. Als das Ping ertönte, und sich die Türe öffnete, stieg sie schnell in den Aufzug, drückte auf den Knopf mit der drei darauf. Augen schließen. Die Türe öffnete sich. Geradeaus an der Wand mahnte ein Schild, nach links zu gehen. Vor dem Zimmer mit der Nummer sechsunddreißig fummelte sie viel zu lange mit der Chipkarte herum, bis sich die Türe endlich öffnete. Sie stolperte hinein, ließ den Trolly fallen, und warf sich noch mit ihrem Mantel bekleidet aufs Bett. Bloß die Augen geschlossen halten.
Ihre Gedanken hä mmerten einen furiosen Trommelwirbel in ihrem Schädel. Du hättest dich deiner Kollegin anvertrauen sollen. So schlimm wie heute war es noch nie. Dumme Kuh, du setzt deine Gesundheit aufs Spiel. Mit geschlossenen Augen suchte sie nach der Visitenkarte in ihrem Mantel. Sie fand sie und legte sie neben sich auf das Nachttischchen. Du kannst ja noch immer anrufen, dachte sie, nachdem sie gesehen hatte, dass auch eine Handynummer unter Privat auf der Karte stand. Umständlich pellte sie sich im Liegen aus dem Mantel, stand auf, und holte aus der Vordertasche des Trollys ein kleines Medikamententäschchen hervor. Sie öffnete es, betrachtete den Inhalt beim fahlen Licht, was noch von draußen herein fiel. Rohypnol oder Tranxilium? Sie entschied sich für das weniger lange anhaltende Medikament. Rohypnol. Ihr Psychologe wusste nichts davon, dass sie sich manchmal so aus dem Leben ausblendete. Oft auch am Tag. Oft für Stunden. Nicht mehr weiter Dinge zählen müssen. Was für eine Wohltat. Sie ging, ohne Licht anzumachen, ins Bad. Dort wartete sie, bis sie ein wenig sehen konnte, und griff nach dem Zahnputzbecher auf der Glasablage. Sie legte die geblisterte Zahnbürste beiseite, und füllte das Glas randvoll Wasser. Sie drückte die Tablette aus der Folie, legte sie sich auf die Zunge, und trank hastig das Glas Wasser leer. Es würde jetzt nicht mehr lange dauern, bis das Medikament zu wirken begann. Sie hängte den Mantel auf, packte eilig ein paar Kleidungsstücke aus dem Trolly, und legte sie in den Kleiderschrank. Unordentlich. Sie fand ihren Pyjama, schlüpfte hinein. Sie brauchte nicht lange auf den ersehnten Schlaf warten. Ohne sich zuzudecken, legte sie sich auf das Bett.
Sie wachte von einem Schmerz auf. Undefinierbar. Er schien sich ihres ganzen Körpers zu bemächtigen. Sie hatte von einer blonden Frau geträumt. Die stand auf einer runden Verkehrsinsel. Einem Kreisverkehr. Überall Sand. Kein Teer. Sie fuhr oder schwamm an der Frau vorbei, hielt inne. Mit toten Augen hatte sie „Willst du mich nicht malen?“ gefragt, und war ihr um den Hals gefallen. Tot. Der schwere Körper lastete auf ihr, tat ihr weh. Sie wachte davon auf. Trotzdem blieb der Schmerz.
Halbbenommen krabbelte sie vom Bett und suchte nach weiteren Medikamente n in ihrem Täschchen. Jemand sagte zu ihr: „Wenn Du jetzt noch weiter Medikamente nimmst, dann ist es aus mit dir.“ Jemand lachte hämisch. Auf dem Bett neben ihr saß die blonde Frau mit den toten Augen. Wieder ein hämisches, lautes Lachen. „Du musst dich entscheiden, entweder willst Du leben oder du gehst jetzt“, sagte die blonde Frau. Wieder dieses schallende Lachen.
Ihr Kopf fü hlte sich an wie in Zuckerwatte gehüllt, der Brustraum schmerzte wie die Hölle. Sie stand auf. Wackelige Beine. Der linke Arm schien irgendwie wie taub.
Duschen dachte sie. Geh duschen.
Sie stolperte durch den kurzen Flur zum Bad, tastete nach der Plastiktüre der Duschkabine. Es schepperte laut, als die Türe beiseitegeschoben wurde. Irgendwo im Dunkeln ertastete sie die Armaturen, drehte sie auf und wartete ab, bis das Wasser eine annehmbare Temperatur aufwies. Dann kauerte sie sich in die Dusche hinein, setzte sich auf ihre Hacken und machte einen Katzenbuckel. Das Wasser traf genau die Stelle in ihrem Nacken, von wo aus es den gesamten
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