Oliver Hell - Gottes Acker (German Edition)
ihr Stellvertreter, übernehmen müssen. Das Leben hielt doch die besten Drehbücher bereit.
Er streifte sich die Handschuhe von den Fingern und verließ den Saal. Der Sektionsgehilfe würde den armen Schnackenberg wieder zunähen. Die Arbeit war getan.
*
Vor dem Büro, das keine vierundzwanzig Stunden vorher noch von Staatsanwalt Gauernack besetzt war, herrschte ein hektisches Treiben. Nachdem Wendt sich bei Hell gemeldet hatte und ihm die Ereignisse der letzten Minuten schilderte, ordnete Brigitta Hansen eine sofortige Sichtung und Sicherung der Akten in Gauernacks Büro an.
Unter den Argusaugen von Überthür durchsuchte Julian Kirsch den Computer von Gauernack. Die Akten, die Gauernack bisher noch nicht ausgepackt hatte, blieben in den Umzugskisten. Die KTU würde sie direkt zur Überprüfung mitnehmen. Die bereits ausgepackten Akten, die der Staatsanwalt schon benutzt hatte, verdienten eine besondere Aufmerksamkeit. Es waren nicht viele. Die Regale hinter seinem Schreibtisch waren nur spärlich genutzt. Das sah dem so ordentlichen Staatsanwalt überhaupt nicht ähnlich.
Viele alte Akten waren auch direkt ins Archiv gewandert. Ein solcher Umzug war ein guter Grund mal richtig auszumisten.
Was er noch nicht für wichtig erachtet hatte und in den Kisten verblieben war, konnte auch nicht für ihn am Vorabend wichtig gewesen sein.
Kirsch überprüfte seine Emails, durchforstete den Outlook-Kalender. Hinter ihm stand Überthür und ließ keinen Blick von dem Bildschirm.
Hell vergewisserte sich drei Mal bei Wendt, ob es ihm auch gut ginge. Er solle doch besser ins Krankenhaus fahren, um sich einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Wendt lehnte das ab. Er trug einen Turban aus weißem Verbandsmaterial. Bei der Hitze begann er fast sofort darunter zu schwitzen, nachdem der Sanitäter ihm den Verband angelegt hatte.
Jetzt war Wendt mit Christina Gericke auf dem Weg ins Präsidium. Sie hatte ihm bereits bestätigt, dass sie es war, die Ihren Bruder aus dem Krankenhaus abgeholt hatte. Danach hatte sie ihn nach Hause gefahren. Dort wollte sie ihn auch besuchen, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen. Da sie ihn aber nicht antraf, fuhr sie zu ihm in die Werkstatt. Dort fand sie Wendt, der ohnmächtig vor dem brennenden Mazda lag. Von ihrem Bruder fehlte jede Spur.
Er reagierte nicht auf ihre Anrufe, die junge Frau war besorgt. „Er geht nicht an sein Handy. Das sieht meinen Bruder gar nicht ähnlich“, sagte sie.
Wendt vermied es bisher, ihr davon zu erzählen, dass ihr Bruder Verdächtiger in einem ungeklärten Todesfall war. Sein Bild war schon an sämtliche Dienststellen geschickt worden, die Bahnhöfe und die Flughäfen in Frankfurt, Köln und Düsseldorf wurden informiert.
Wendt fuhr gerade über die A 562 und ordnete sich rechts ein.
„ Hat ihr Bruder Ihnen etwas über den Unfall erzählt? Wie es dazu kam? Wo er herkam und wohin er wollte?“ Er warf einen kurzen Blick auf den Beifahrersitz, versuchte ihren Blick zu fangen. Doch sie versteckte sich hinter ihren blonden Locken. So gut es ging, denn der Fahrtwind versuchte, Unordnung anzurichten.
„ Nein, er sagte nur, dass alles total schnell gegangen sei.“
„ Er ist ungebremst in einer Kurve in den Gegenverkehr gefahren. Ist ihr Bruder ein sicherer Fahrer?“
Sie strich sich die Haare zurück. Erlaubte Wendt einen Blick in ihr Gesicht zu werfen.
„ Mein Bruder ist ein guter Autofahrer“, sagte sie trotzig und blickte aus dem Seitenfenster. Der Wind hob eine blonde Strähne an und wirbelte sie hoch.
Bis sie auf dem Parkplatz vor dem neuen Präsidium ankamen, fiel kein Wort mehr.
Wendt glaubte ihr. Und wenn sie mit ihrem Bruder gemeinsame Sache machen würde? Der Zweifel, jemanden zu schnell als unschuldig zu stempeln, stand bei Wendt auf verlorenem Posten. Wieso hatte sie ihn dann vor den Flammen gerettet? Aus Kalkül?
Nein, da war er sicher. Zu so einer Perfidie war dieses hübsche Geschöpf nicht imstande. Daher behandelte er sie auch nicht wie die Schwester eines Verdächtigen. Sie durfte nicht der Gegenstand seines ersten Verhöres im neuen Verhörraum sein, nein, im Gegenteil. Wendt führte sie wie eine Art Trophäe in den Raum, den er sich zusammen mit Klauk und Rosin teilte.
„ Darf ich euch meine Lebensretterin vorstellen“, sagte er, als er die Glastür zum Flur geschlossen hatte. Klauk und Rosin waren überrascht. Noch bevor die junge Frau auf sie zukam, hatte sie bereits intensiv die Fotos und Notizen auf den
Weitere Kostenlose Bücher