Oliver Hell - Gottes Acker (German Edition)
für einen Gerichtsmediziner war es das tägliche Brot. Hier fühlte sich Plasshöhler auch viel wohler, als auf dem freien Feld.
Hinter dem Sektionstisch stand ein Rollwagen. Darin lag in der Nierenschale der blutige Golfball. Als er sich seitlich dem Hals des Opfers näherte, um weitere Fotos zu machen, fiel sein Blick kurz auf den Ball.
Plasshöhler runzelte die Stirn. Spielte ihm das helle Licht in der Gerichtsmedizin einen Streich? Er ließ die Kamera sinken und umrundete schnell den Tisch, nahm die Nierenschale in die Hand und hielt sie so, dass er blendfrei den Ball betrachten konnte.
Nein.
Seine Augen hatten ihm keinen Streich gespielt.
*
Während des Sturmes hatte Christina Meinhold die Zeit genutzt, um sich in den Datenbanken nach einem bestimmten Serienmörder umzuschauen. Dann und wann hatte sie aus dem Fenster geschaut und sich gefragt, ob das dort draußen alles Auswirkungen des Klimawandels waren. An solche Regenmengen konnte sie sich nicht erinnern, auch nicht daran, dass es je schon einmal morgens um zehn Uhr dunkel, wie in der Nacht geworden war.
Als der Regen nachließ und sie das Gefühl hatte, der Tag kehre zurück, schob sie den Drehstuhl zurück und trat ans Fenster. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand noch eine riesige Pfütze. Der Gully konnte die Wassermassen nicht ableiten. Die Bäume waren arg vom Wind gebeutelt und überall auf dem Gehweg und der Straße lagen kleinere Äste und abgerissene Blätter.
Meinhold wollte schon vom Fenster zurücktreten, doch wie einer Eingebung folgend, blieb sie noch stehen. Aus Richtung Beuel kam ein VW Polo gefahren. Der Kleinwagen erreichte den Rand der Pfütze, dann riss der Fahrer plötzlich das Lenkrad herum oder der Wagen schwamm auf. Jedenfalls geriet das Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn und krachte in einen entgegenkommenden VW Bus. Meinhold sah, wie sich der Airbag in dem Polo aufblähte. Nach dem Scheppern und Krachen war sekundenlang Ruhe.
Als Erster öffnete der Fahrer des VW Bus seine Türe. Er hielt sich seinen Kopf. Meinhold sah nicht mehr, wie er zu dem Polo hinüberwatete, der durch den Aufprall zurückgestoßen wurde und mitten in der knöcheltiefen Pfütze stand. Sie war schon auf dem Weg nach unten, um zu schauen, ob jemand Hilfe benötigte.
Wie überaus treffend, dachte sie. Ein Unfall mitten vor der Polizeistation. „Draußen hat es gekracht“, rief sie den Beamten an der Rezeption zu, „Ich gehe mal schauen. Rufen sie bitte mal vorsichtshalber die Rettung an.“
Ihre Kollegen hatten den Unfall nicht bemerkt, ihnen rauchte er Kopf von den hunderten von Telefonaten, die sie an diesem Morgen schon angenommen hatten.
Schon hatte sie die Türklinke in der Hand und rannte hinaus in den Regen.
Der Mann aus dem VW Bus stand vor dem Polo und versuchte die Türe zu öffnen. Unter der Motorhaube des Kleinwagens zog eine dünne Rauchschwade hervor.
„ Sind Sie verletzt?“, rief Meinhold dem Mann zu. Der drehte sich nur kurz um und schüttelte den Kopf. Auf seiner Nase war eine kleine Risswunde zu sehen. „Nein, alles ist gut“, sagte er mit einem Akzent, der ihn als Ausländer identifizierte. Sehr wahrscheinlich türkischer Abstammung.
Meinhold sah sich um, und bemerkte zwei Zivilpolizisten, die aus dem Präsidium kamen. Sie streifte die Schuhe von den Füßen, ließ sie auf der Straße liegen und watete zu dem Polo herüber. Der Türke zog weiter an der verbeulten Autotür herum. Der Airbag war wieder in sich zusammengesunken. Die Frau schien ohnmächtig zu sein.
„ Sie ist nicht da“, sagte der Mann in aufgeregtem Ton, „Ich konnte nix machen, sie kam auf mich zu. Konnte nix machen…“
Meinhold verstand, dass er sagen wollte, die Frau sei ohnmächtig.
„ Ja, wir müssen die Tür aufbekommen. Ich versuche es von der anderen Seite.“ Meinhold tapste durch das Wasser auf die andere Seite. Einer der Streifenbeamten kam hinzu, während der andere den Verkehr an der Unfallstelle vorbeilotste.
„ Rettung ist informiert“, sagte der Kollege und half dem Türken mit der Türe. Mittlerweile hatte Meinhold auf der Fahrerseite die Türe geöffnet und sprach die Frau an. „Hallo, können Sie mich verstehen? Hallo?“ Sie berührte die Frau am Arm, löste den Sicherheitsgurt. Die Frau reagierte nicht.
Mit einem lauten, knarzenden Geräusch öffnete sich die Fahrertür. Mit vereinten Kräften schoben die beiden Männer die Türe auf, die sich im Kotflügel verkeilt hatte.
„ Sie ist nicht ansprechbar?“, fragte
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