Oliver - Peace of Mind
Stündchen vorbei. Immer öfter allerdings rief
er auch nachts an. Er war betrunken und weinte ins Telefon, wie einsam er sei. Dann
wurde seine Mutter wütend und sagte ihm, dass sie das ja schließlich auch schon
seit Jahren sei.
Dann bekam er endlich eine Wohnung im Bunker. Das war ein Bunker in der
Mistralstraße. Die Stadt hatte darin Wohnungen geschaffen, die extra den
ehemals Obdachlosen vorbehalten waren. Der Bunker war in der Nähe der Wohnung
seiner Mutter. Seine Mutter fand noch ein paar alte Möbel, mit denen sie und sein
Bruder ihm die kleine Zwei-Zimmer-Wohnung einrichteten. Nun hatte er eine Wohnküche
und einen großen Schlaf- und Wohnraum. Was sollte er in der Küche? Er konnte
sowieso kaum noch etwas bei sich behalten.
Jetzt hatte er endlich wieder eine eigene Wohnung. Einsam war er mehr
denn je. Dave besuchte ihn nie. Er arbeitete ja rund um die Uhr. So wie früher
seine Mutter. Die hatte ihre Arbeit auch nur unterbrochen, um zu kochen, zu
putzen und kurz zu schlafen. Nur er, er war immer der Faule geblieben. Was
hätte er auch machen sollen? Er war schon damals überall angeeckt.
Diese Gedanken machten ihn fertig. In den Jahren, als er Tag und Nacht
zugedröhnt war, da war ihm das egal gewesen. Da hatte sich alles gut angefühlt.
Außer, er war auf Entzug. Aber man hatte ihm ja unbedingt wieder einen klaren
Kopf verpassen müssen. Und jetzt saß er ganz allein da, mit den trostlosen
Gedanken. Am schlimmsten war diese Einsamkeit. Diese Gewissheit, dass er völlig
überflüssig war. Dass es niemanden interessieren würde, wenn er tot wäre. Seine
Mutter vielleicht. Aber selbst Dave wäre froh, wenn sich endlich nicht immer
alles nur um ihn, Oliver drehen würde.
Sein neuer Nachbar im Bunker. Der schien ihn als einziger zu verstehen.
Den vermisste auch keiner. Wenn Olivers Mutter abends ihre Ruhe brauchte, traf
er sich jetzt immer öfter mit ihm. Mal ging er zu ihm rüber, mal klopfte der
Nachbar an und brachte ein paar Flaschen Wodka mit. Der Nachbar war
Alkoholiker.
Oliver merkte, dass der Wodka zwar nicht das tat, was das Heroin mit
seinem Kopf gemacht hatte, trotzdem, wenn man genug intus hatte, dann konnte
man auch damit die quälenden Gefühle betäuben. Und der Nachbar freute sich,
nicht mehr allein zu trinken. Olli merkte, dass die Schmerzen schlimmer wurden,
wenn er nicht trank. Also trank er mehr. Und der Schmerz ließ nach. Es ging
sehr schnell, und er war süchtig. Das Methadon holte er sich weiter ab.
Einmal fragte seine Mutter ihn, warum er so merkwürdig rieche in letzter
Zeit. Er zuckte nur mit den Schultern.
Dann kam Weihnachten und seine Mutter wollte ihn gern bei sich haben. Da
gestand er ihr, dass er nur kommen könne, wenn sie Alkohol im Haus habe, da er
jetzt trinke. Sie regte sich furchtbar darüber auf. Schrie ihn an, dass er doch
wisse, dass sie mit so was nun wirklich nichts zu tun haben wolle. Er wisse
doch genau, dass ihr Vater damals …
Er kam über Weihnachten. Eine Flasche Wodka stand für ihn bereit.
Dave war auch da, blieb aber nicht so lange. Seine Mutter hatte ausgiebig
gekocht. Wie immer ein ordentliches Stück Fleisch für ihre beiden Riesen. Aber
Oliver konnte nicht mehr so essen wie früher. Obwohl sein Bauch sich sichtbar
gerundet hatte in den letzten Monaten, konnte er kaum noch etwas bei sich
behalten. Und immer wieder diese Schmerzen. Er trank einen großen Schluck.
Vielleicht würde es drinbleiben, bis er nach Hause ging.
Als Dave und seine Mutter ihn mit großen Augen ansahen, bemerkte er, dass
er mal wieder aus der Nase blutete. Auch das hatte er ständig in letzter Zeit.
Dabei nahm er doch schon lange kein Koks mehr. Von dem Blut im Mund wurde ihm
schlecht. Er schaffte es gerade noch zur blütenweißen Toilettenschüssel. Dort
erbrach er den Weihnachtsbraten.
Keiner sagte ein Wort, als er sich zurück an den Tisch setzte. Auch
nicht, als er das Wasserglas randvoll mit Wodka in einem Zug leerte. Es wurde
doch noch ein gemütlicher Abend.
Silvester verlief ähnlich. Dave war gar nicht gekommen. Er wollte mit
Freunden feiern. So saßen Olli, seine Mutter und die Wodkaflasche im
Wohnzimmer. Der Fernseher sorgte für die Beschallung. Sie sprachen von den guten
Vorsätzen für das neue Jahr, das Jahr 2009. Oliver hoffte auf einen
Therapieplatz außerhalb der Stadt. „Im Ausland“ nannten die beiden alles, was
über die Stadtgrenzen hinaus ging. Was für eine kleine Welt, in der sie lebten.
Ihre
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