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Oliver - Peace of Mind

Oliver - Peace of Mind

Titel: Oliver - Peace of Mind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Schroeter
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Tüten halb leer waren, schüttete er sie mit der zweiten
Wodkaflasche auf. Dann setzte er sich an den kleinen Küchentisch und
konzentrierte sich darauf, seine Zigarette mit der Flamme zu treffen.
Erleichtert blies er den Rauch in die Luft und trank noch einen Schluck. Er
wusste nicht, wie lange er so da gesessen hatte. Er hatte geraucht und
getrunken, geraucht und getrunken. Gedacht hatte er an nichts. Genauso wie es
sein sollte. Er hatte die Wand angestarrt. Einfach nur gestarrt. Weiß, leer,
nichts!
    Das war alles, was er sich wünschte.
     
    Doch immer wieder kamen die Schmerzen durch. Im Bauch rechts und unter
den Rippen. Aber das Herz war ja links.
     
    Es war dunkel. Weit nach Mitternacht musste es sein. Er hörte keine
Geräusche im Haus. Es war ihm zu still. Er nahm die beiden Apfelsafttüten – die
beiden Gläser waren längst leer – und schwankte ins Nebenzimmer. Er konnte sich
kaum auf den Beinen halten. Er musste sich immer wieder mit der Schulter an der
Wand abstützen. Als er die Apfelsafttüten vor seinem Bett abstellte, kippte er
vornüber. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder hochgerappelt hatte.
    Verschwommen erkannte er die Fernbedienung auf seiner Bettdecke. Er
drückte alle Knöpfe, bis irgendetwas anging. Er wollte Stimmen hören. Er war so
allein und sein Bauch tat so weh. Er fühlte Tränen auf seinen Wangen. Was für
ein unsinniges Leben, dachte er. Aber er wollte nicht denken. Er wollte nicht
fühlen. Er griff nach der Safttüte und wollte nie wieder aufhören zu trinken.
Ihm war schlecht. Er setzte die halb volle Tüte behutsam auf dem Boden ab.
Setzte sich wieder auf und versuchte aus den Fernsehern, die er sah, einen zu
fokussieren. Dann, ganz plötzlich passierte das, was er sich so sehr gewünscht
hatte: Er fühlte nichts mehr und kippte nach hinten auf sein Bett.

Juni 2012
     
    Ich bin mit Betty verabredet. Das Wetter ist super. Zum ersten Mal in
diesem Jahr. Wir treffen uns an Olivers Grab. Sie pflanzt neue Blumen, stellt
einen neuen Strauß roter Rosen vor seinen Grabstein. Mein Herz hat sie gut
sichtbar platziert. Und ich bin ihr dankbar, dass sie mir einen Platz auf
seinem Grab geschenkt hat.
    „In Liebe“ steht darauf. Mehr nicht. Es ist genug. Es sagt alles, was ich
für ihn empfinde.
     
    Danach fahren wir in Bettys Gartenhaus. Das hat sie seit zwanzig Jahren,
sagt sie. Ich fahre ihr mit meinem Auto hinterher. Plötzlich hält sie an.
Springt aus dem Wagen, zeigt auf ein altes Stadthaus. „Hier hat Oliver mal eine
Zeit lang mit seiner Freundin Tina gewohnt“, ruft sie mir zu, als wären wir auf
einer Sightseeingtour. Und ich bin ihr dankbar, dass sie mich teilhaben lässt an
den Jahren, die mir fehlen.
     
    Sie lotst mich durch enge Straßen, vorbei an einem Park und einer
hübschen Kirche. Ich habe keinen Schimmer, wo ich bin.
    Das kleine Häuschen ist perfekt: von außen ebenso, wie von innen. Hatte
ich etwas anderes erwartet? Betty streift ihre Schuhe ab und stellt sie ordentlich
auf einen dafür vorgesehenen Schuhkartondeckel. „Ist so ein Tick von mir“,
entschuldigt sie sich, als sie meinen fragenden Blick sieht. Ich nicke
verständnisvoll und frage mich, ob Olli nicht wenigstens hier im Grünen hätte
wohnen können? Wenigstens im Sommer! Aber ich sage nichts.
     
    Unter einer ausladenden Tanne steht ein einsamer Liegestuhl. „Das ist
meiner“, sagt sie. „Warte, ich hole dir Ollis aus dem Schuppen.“ Ich helfe ihr.
Sie trägt den Liegestuhl, ich die Auflagen. Als Tischchen dient ein weißer
Hocker. Wir essen Kuchen und trinken Limo. Es ist schön hier. Nichts erinnert
auch nur im Entferntesten an Großstadt, Dreck und Elend.
     
    „Auf dem Stuhl und der Auflage hat nach Oliver niemand mehr gesessen. Es
war sein Liegestuhl“, erwähnt sie fast beiläufig. Sicher bilde ich es mir nur
ein, aber ich stelle mir vor, so wie sich die Kissen an mich schmiegen, er
würde mich umarmen. Ich schlucke die Tränen mit einem Stück Kuchen herunter.
     
    „Wie schaffst Du das alles allein?“, frage ich Betty.
    „Ach, ich muss immer was zu tun haben. Das weißt du doch. Nur die Bäume
und Sträucher, wenn es da Abfall gibt, dann kommt Dave mal und holt sie ab. Ich
gebe ihm dann Geld dafür.“
    „Sonst kommt Dave nie vorbei? Auch nicht, seit Du Olli verloren hast?“
    „Nee, der ist immer mit arbeiten beschäftigt. So wie ich immer war. Der
ist nicht so wie Oliver. Der braucht mich nicht so.“
    „Ist ja auch ok, mit sechsundvierzig“, denke

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