Oliver - Peace of Mind
und
gelitten, so war sie ebenso offen für eine zweite große Liebe, die sich bei mir
anbahnte. Denn, diesmal sah der Junge genauso aus, wie ich ihn mir in meinen
Träumen immer ausgemalt hatte: groß, volles dunkles Haar, dunkelbraune Augen
und ein sehr verwegenes Auftreten. Mein Held war geboren! Wow! Nichts anderes
war noch von Bedeutung.
Es gab nur ein Problem: Er schien sich nicht im geringsten für mich zu
interessieren. Noch schlimmer wurde es, als mein Vater meine ganzen Bemühungen
auch noch zunichtemachte.
Ausgerechnet heute kamen Papa und seine neue Freundin Monika, von deren
Existenz er mir erst am Tag des Einzugs berichtet hatte, schon um 16 Uhr nach
Hause. Steif hatten sie Sandy begrüßt. Irgendwie wurden wir das Gefühl nicht los,
sie mochten es am liebsten allein, sprich auch ohne ein Kind. Aber es gab mich
nun mal. So ein Pech!
Sandy stand gerade an meinem Lieblingsplatz am Fenster, während ich uns
heimlich zwei Zigaretten drehte, mit denen wir gleich um den Block gehen wollten,
als sie sagte: „Mensch, Nici! Wir kriegen Besuch.“ Es waren meine neuen
Bekannten: Matthias, Michael und der große Dunkle mit dem wundervollen Namen
Oliver. Ein Wunder war dieser Name deshalb, weil meine erste große Liebe auch
so geheißen hatte. Ich erkannte also schon mit vierzehn: Mein Schicksal hieß
Oliver.
Als es klingelte, fuhr Papa vom Sofa hoch. „Wer ist das?“, schnaubte er.
„Die Jungs von drüben“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Was wollen die denn
hier bei uns?“ Er war total aufgebracht, hatte mal wieder Angst, seine Monika
könne sich bei noch mehr Kindern gestört fühlen und sich nicht ausreichend von
ihrer Arbeit erholen.
„Na, ich habe einfach versucht, hier in der neuen Umgebung Gleichaltrige
kennenzulernen. Sei doch froh, dass ich versuche mich einzuleben!“
„Aber doch nicht solche Typen!“, brüllte er mich an. Sandy verdrückte
sich peinlich berührt in mein Zimmer, um nicht an diesem Familiendrama
teilhaben zu müssen.
„Was ist denn mit diesen Typen nicht in Ordnung?“, brüllte ich zurück.
„Du hast genug Freunde an Deiner Schule“, befand er. „Die hier fahren
ohne Helm auf diesen Mofas rum, rauchen und stören. Man weiß nicht mal, was
deren Eltern beruflich machen.“
„Die Freunde von meiner Schule sind sich aber zu fein, diesen Stadtteil
aufzusuchen.“ Ich fing an zu weinen. „Na, was soll das denn jetzt heißen?“,
brüllte Papa wieder.
„Das weißt du ganz genau! Wir sind hier nicht mehr an der Alster. Ich
gehöre jetzt nicht mehr dazu.“ „So, ein Blödsinn! Sind die alle oberflächlich!
Sandy ist doch auch hierher gekommen.“ Ich schniefte. „Ja, weil sie auch nicht
dazugehört, seit ihre Eltern ein Gartenhaus hier haben.“
Es klingelte und ich machte auf. Sofort brüllte Papa wieder los: „Glaub‘
ja nicht, dass die meine Wohnung betreten dürfen!“ Die Jungs blieben im
Treppenhaus stehen und verdrehten die Augen. „Komm, Sandy!“, sagte ich und sah,
wie sie die Zigaretten einpackte. „Dann gehen wir eben zu denen mit rüber.“ Ich
zog meine Schuhe an und nahm meine Jacke. Als ich mich umdrehte, murmelte ich
leise: „Abschießen!“ Mein Vater hörte es, riss mich herum und verpasste mir
eine schallende Ohrfeige. Vor allen! Wie männlich von ihm!
Sandy und die Jungs blickten betreten zu Boden und folgten mir, als ich
wütend zur Tür hinaus stürmte. Vor dem Haus blieben wir ratlos stehen. Der
große Junge, der Oliver hieß und wegen dem ich nachts nicht mehr schlafen
konnte, sah mich direkt an und sagte: „Mann, was hast Du denn für einen Vater?
Führt der sich immer so auf?“
„Nein, eigentlich nicht“, erwiderte ich kleinlaut. „Eigentlich will er
immer nur das Beste für mich. Irgendwie hat er was gegen euch. Keine Ahnung,
wieso.“ Oliver zündete sich eine Zigarette an, die er hinters Ohr geklemmt
hatte. Sandy und ich sahen uns an. Wir wollten auch rauchen. „Können wir nicht
zu euch gehen?“, fragte Sandy in die Runde. „Klar“, sagte jetzt ein kleiner
blonder. Also gingen wir.
Der kleine Blonde war Matthias. Er hatte ein schmales Frettchengesicht
und kleine wässrig blaue Augen. Und vor allem schlechte Zähne. Dafür war er
schon zwei Jahre älter als wir. Das hatte er mir schon neulich erzählt.
Er wohnte im gleichen Eingang wie Oliver, nur ganz unten.
Seine Mutter beachtete uns gar nicht, als wir die düstere Wohnung
betraten. Hier dominierte eindeutig die Farbe
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