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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Fremde eintreten wollte. Es war Monks.
    »Nur eine von meinen jungen Gehilfinnen«, sagte Fagin, als Monks beim Anblick Nancys zurückprallte. »Bleib sitzen, Nancyleben.«
    Sie rückte an den Tisch heran, sah Monks scheinbar gleichgültig an und blickte dann weg. Als Monks aber seine Augen auf Fagin richtete, warf sie verstohlen einen zweiten Blick auf ihn, und zwar einen so forschenden, zielbewußten und scharfen Blick, daß niemand, der diese Veränderung in ihren Zügen beobachtet hätte, geglaubt haben würde, beide Blicke kämen von ein und derselben Person.
    »Nu, was gibt’s Neues?« fragte Fagin.
    »Viel Neues.«
    »Eppes Gütes?« fragte Fagin zurückhaltend.
    »Weder etwas Gutes, noch etwas Schlimmes«, versetzte Monks lächelnd. »Ich habe mich mächtig getummelt. Ich möchte ein paar Worte allein mit dir sprechen.«
    Nancy machte nicht die geringsten Anstalten, das Zimmer zu verlassen, trotzdem Monks seine Worte sehr deutlich gesagt hatte. Der Jude fürchtete offenbar, sie könnte von dem Geld anfangen zu reden, deutete daher nach dem oberen Stockwerk und ging mit Monks aus der Stube.
    »– nicht wieder in das Teufelsloch, wo wir damals waren –« Diese Worte hörte Nancy, während die beiden die Treppe emporstiegen. Der Jude lachte und erwiderte etwas, sie verstand es aber nicht. Nach dem Schall der Tritte zu schließen, gingen die beiden in das zweite Stockwerk hinauf. Rasch zog Nancy die Schuhe aus, horchte gespannt und schlich, da alles still blieb, geräuschlos die Treppe hinauf. Ungefähr eine Viertelstunde mochte verflossen sein, da kehrte sie leise wieder in das Zimmer zurück, und gleich darauf kamen die beiden wieder herunter. Monks entfernte sich, und als Fagin nach einiger Zeit mit dem Geld eintrat, setzte sich das Mädchen gerade den Hut auf, wie um sich zum Fortgehen anzuschicken.
    »Gott über die Welt, Nancyleben, wie blaß Sie sin«, rief Fagin erschreckt. »Was ist denn los?«
    »Nichts, gar nichts«, antwortete Nancy gleichgültig. »Geben Sie schon endlich das Geld her und lassen Sie mich fort. Ich hab’ lang genug hier gesessen.«
    Seufzend zählte ihr Fagin die Geldstücke in die Hand, sagte ihr gute Nacht, und sie ging. Nancy blieb einen Augenblick auf der offenen Straße stehen, setzte sich dann auf die Stufen vor einer Haustüre und schien offenbar, ganz betäubt und erschöpft, außerstande zu sein, ihren Weg fortzusetzen. Dann sprang sie plötzlich wieder auf, lief in einer andern Richtung jener entgegengesetzt, in der Sikes’ Wohnung lag, fort, so schnell sie ihre Füße tragen konnten. Eine Weile lang mußte sie stehenbleiben, um Atem zu schöpfen, und das schien sie wieder zur Besinnung zu bringen, denn sie rang die Hände und brach in Tränen aus, wie jemand, der einsieht, daß er etwas nicht tun kann, was er sehnlichst wünscht.
    Vielleicht brachten ihr die Tränen Linderung, vielleicht sah sie auch ein, daß sie augenblicklich nichts tun könne.Sie kehrte daher um und eilte schnell nach ihrer Wohnung zurück. So aufgeregt sie auch war, bemerkte es dennoch Mr. Sikes nicht, denn die Befriedigung, zu erfahren, daß Fagin das Geld ausgezahlt habe, machte ihn gleichgültig gegen alles andere.
    Je näher der Abend kam, desto größer wurde Nancys Unruhe, und sie konnte es sichtlich nicht erwarten, bis Sikes, der im Bett lag und beständig Whisky mit heißem Wasser trank, in Schlaf verfallen würde. Es blitzte dabei ein so ungewöhnliches Feuer aus ihren Augen, daß selbst Sikes endlich darauf aufmerksam wurde. Er starrte sie an, stützte sich auf seine Ellbogen, brummte einen Fluch und sagte: »Du siehst ja wie eine Leiche aus! Was hast du denn?«
    »Was ich habe?« erwiderte Nancy. »Nichts. Warum schaust du mich so scharf an?«
    »Was sind das wieder für Geschichten?« fragte der Einbrecher und schüttelte sie unsanft am Arm. »Was heißt das? Was bedeutet das? Woran denkst du?«
    »An so mancherlei, Bill«, erwiderte sie schaudernd und legte die Hände vors Gesicht. »Aber was liegt daran.«
    Der gepreßte Ton und ihre gezwungene Fröhlichkeit schienen auf Sikes einen tieferen Eindruck zu machen als der starre entsetzte Blick, den er vorher an ihr gesehen hatte.
    »Ich will dir sagen, was es ist«, murmelte er. »Wenn du dich nicht am Fieber angesteckt hast, dann geht etwas in dir vor. Gott verdamm mich – hör mal: Du wirst doch nicht –«
    »Was?« fragte Nancy.
    »In ganz London«, brummte Sikes und ließ das Mädchen nicht aus den Augen, »in ganz London läuft

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