Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
meine Mutter vor mir, die mich anlächelte. Wie konnte ich ihm nur böse sein, wo er sich doch solche Mühe gab?
Lächel, lächel … Dass sie keinen Krampf im Kiefer davon bekam!
12
Sascha sah ich erst nach den Ferien wieder, im Klassenzimmer, nachdem es schon geläutet hatte. Ich setzte mich nicht neben ihn, sondern ganz hinten an einen freien Tisch. Es war der Reservetisch, und der dazugehörige Reservestuhl kippelte. Als die anderen merkten, dass ich mich umgesetzt hatte, grölten sie, aber nur ein bisschen. Ich sah mich verstohlen um, weil ich wissen wollte warum. Milena machte nicht mit. Sie war zwar da, aber sie beteiligte sich nicht. Sie sah nicht mal zu mir herüber, sondern schrieb nur etwas in ihr Heft. Ich betrachtete ihren Füller, er war rosa und glitzerte. Zum Glück kein Sascha-Füller.
Jenny schien mit meinem neuen Platz einverstanden zu sein. Sie verteilte schon wieder einen Test. Alle stöhnten. »Viel Spaß, Kinder!«, sagte sie.
Milena gab keine schlagfertige Antwort. Sie war fertig mit Schlagen, hätte meine Mutter gesagt.
In der Pause ging ich sofort zur Tür, wo die Kletterpflanze wuchs. Ich riss ein Blatt ab und zerrupfte es mit kleinen, gemeinen Zupfern. Meine Finger wurden ganz feucht vom Saft. Bald war meine ganze Hand voll grüner Fitzel.
Ich entdeckte eine Spinne und hätte sie am liebsten auch in kleine Stücke gerissen, aber sie hatte so viele kleine Krabbelbeine, dass ich mich nicht traute.
Nach der Pause beschloss ich, am Nachmittag ebenfalls den Mund zu halten, nachdem ich schon den ganzen Vormittag kein Wort gesagt hatte.
Das war nicht mal besonders schwer, weil jeder für sich leise lesen sollte.
Als ich nach Hause trottete, blieb jemand mit quietschenden Bremsen neben mir stehen. Sascha.
»Also«, begann er. »Es ist nicht so, wie du denkst.« Ich blieb nicht stehen.
Er fuhr langsam neben mir her. »Ehrlich.« Ich bog scharf nach links in einen schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern ein.
»Olivia.« Wegen dem idiotisch breiten Lenker seines Mountainbikes konnte er mir nicht hinterherkommen.
»Olivia! Sie ist doch nur …«
Ich bog um die Kurve und hörte ihn nicht mehr.
Erst beim Friseursalon sah ich mich wieder um. Dumm von ihm, dass er nicht hier auf mich gewartet hatte. Er wusste doch, wo ich wohne.
Als ich hineinging, maß mein Vater gerade aus, wo er das zweite Regalbrett anbringen würde. Das wunderte mich, weil er eigentlich gar kein Bastler war. Im Garten befand sich immer noch unser angefangenes Loch, von dem ich nicht wusste, was daraus werden sollte.
Er klopfte auf den zweiten Zahnarztstuhl. »Setz dich mal kurz zu mir.«
»Das wird eine tolle Überraschung, Olli-Schätzchen!«, sagte er und rieb sich die Hände. »Ich habe da so einen Plan. In zwei Wochen ist es fertig.«
Misstrauisch sah ich ihn an. »Hast du was getrunken?«
Das fand er sehr witzig. Er stellte sich prompt auf ein Bein und führte ein Tänzchen auf, um mir zu beweisen, dass er nüchtern war.
»Und jetzt soll ich dir glauben, dass du nicht betrunken bist?«
»Sonst wäre ich hingefallen.«
Er setzte sich wieder und drehte sich zu mir, legte mir die Hände auf die Knie und zwickte mich in die Beine. »Ich habe nachgedacht, Olli, weißt du? Und du hast recht.«
»Womit habe ich recht?«
»Das Leben geht weiter.«
»Aha.«
Er stand auf. »Und zur Feier des Tages gehen wir Kuchen essen.«
»Warum?«
»Darf ein Vater seine Tochter denn nicht mal zum Kaffee einladen?«
Ich war skeptisch. Bestimmt war das nur wieder eine Phase. Die hatte mein Vater schon immer gehabt. Dann sollte mit einem Mal alles anders werden. Früher war ich einmal aus der Schule nach Hause gekommen, und er war immer wieder die Treppe rauf- und runtergerannt. »Das mache ich jetzt jeden Tag«, verkündete er. Sein Bauch sei ihm zu dick. Nach drei Tagen war es mit dem Gerenne vorbei, weil es angeblich sowieso nichts brachte, und er meckerte ein paar Tage vor sich hin. Eine Woche später hatte er einen Roller für uns drei gekauft und war jubelnd vor der Haustür auf und ab gerollert. Oberpeinlich.
Jedes Frühjahr hatte er auch seine Lagerfeuer-Phase gehabt. Da legte er einen speziellen Vorrat langer Streichhölzer an und freute sich schon Tage im Voraus riesig. Manchmal weckte er mich mitten in der Nacht und flüsterte: »Es ist so weit.« Er war nämlich der Meinung, dass es einen perfekten Zeitpunkt fürs erste Lagerfeuer des Jahres gebe. Der konnte abends, nachts oder morgens sein. Meine
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