Olivia und der australische Millionär
Schutz unter seinem Dach anbieten. Die Lage am Fuß des steil aufragenden Kliffs garantierte der Anlage nahezu rund um die Uhr belebenden Schatten. Die Ausdehnung der fruchtbaren Ebene markierten saftige Wiesen und grüne Baumgruppen, mit einem Boden, der offenbar so gut wie nie austrocknete.
Alle weiteren Millionen Quadratkilometer waren reine Wüste. Vor ihrem inneren Auge sah Olivia einen Geländewagen, der vom nicht gekennzeichneten Weg abkam und auf Nimmerwiedersehen im bodenlosen roten Wüstenstaub versank.
Erneut schauderte sie. Doch diesmal mischte sich zu dem nicht einmal unangenehmen Gruselgefühl eine Ahnung, dass man an diesem rätselhaften, verwunschenen Ort möglicherweise auch noch auf ganz andere Emotionen stoßen könnte …
Freiheit? Romantik? Leidenschaft?
Erstaunt über ihren neuerlichen Ausflug ins Land der Fantasie schaute sie rasch um sich und war froh, dass McAlpine sie ausnahmsweise nicht beobachtete oder zweifelnd musterte. Was war nur an diesem seltsamen Ort, dass ihr Puls raste, als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich, bevor sie auch nur einen Fuß auf den roten Sand gesetzt hatte?
Plötzlich sah sie sich selbst als umwerfend attraktive Frau oben auf einer Klippenkante wie jener weit unter ihr stehen und hinunterschauen … allerdings nicht auf ein Haus oder Wüstensand, sondern ein verlockend türkisfarbenes Meer. Sie hatte die Wahl: Entweder sie zögerte und schwankte, wie sie es immer tat, oder sie vollführte einen waghalsigen Kopfsprung und tauchte tief in das glitzernde, belebende Nass ein.
Wenn sie recht überlegte, hatte sie es unglaublich satt, immer nur vernünftig zu sein. Bella war nie vernünftig. Zugegeben, die meisten ihrer Eskapaden waren geradezu haarsträubend, aber dafür hatte sie immer Spaß!
Clint setzte rechts von einem riesigen Hangar, der mindestens eine Meile vom Haus entfernt stand, sanft mit dem Helikopter auf. Durch die weit offenen Tore sah Olivia, dass der Platz im Innern des Hangars ausreichte, um eine halbe Airbus-Flotte unterzubringen. Der Name der Rinderfarm, Kalla Koori, prangte in riesigen gelbblauen Lettern auf dem Dach. Ein Stück entfernt stand ein hoher Fahnenmast, an dem die australische Flagge wehte.
Als sie ausstiegen, wurden sie von einem hochgewachsenen Mann in Jeans und Buschhemd empfangen. Das harte, wettergegerbte Gesicht zierte ein schwarzer Vollbart. Den Akubra , diesmal eine ziemlich speckige Variante des unvermeidlichen Cowboyhuts, hatte er weit nach hinten in den Nacken geschoben.
„Boss!“ Eben noch lässig gegen einen großen Geländewagen gelehnt, auf dessen Tür ebenfalls das gelbblaue Logo prangte, stand er jetzt sehr aufrecht und bedachte Olivia mit einem schnellen Seitenblick und halbem Lächeln.
„Norm.“ Knapp stellte Clint ihr Norman Cartwright vor, der zusammen mit seiner Frau Kath für alle Belange des Wohntrakts auf Kalla Koori zuständig war. Kath im Innern des Hauses, Norm mit seinem sehr effizienten Team für das riesige Außengelände. Olivia mochte Norm auf Anhieb und hoffte, mit seiner Frau Kath würde es ihr genauso gehen. Alle Australier, die sie bisher kennengelernt hatte, waren durchweg warmherzig und freundlich. Ausgenommen McAlpine … und möglicherweise seine Exfrau mit dem exotischen Namen, die sie bisher nur vom Hörensagen kannte.
Und ausgerechnet ihr zukünftiger, kurz angebundener Boss nannte sie Eisprinzessin! Doch das war sie nicht … sie gab nur vor, es zu sein. Einfach aus Selbstschutz.
McAlpine half ihr auf den Rücksitz des Geländewagens und nahm anschließend selbst neben Norm auf dem Beifahrersitz Platz. Dann fragte er einen Wust inquisitorischer Fragen, auf die Norm prompt antwortete. Das Ganze wirkte wie ein gut eingespieltes Team. Andernfalls hätte Norm sicher auch schlechte Karten gehabt, das wusste Olivia aus eigener Erfahrung als rechte Hand ihres Vaters.
Kunstvoll geschmiedete Eisentore hingen zwischen beeindruckend wuchtigen Steinpfeilern und öffneten sich automatisch nach innen, um den Landrover einzulassen. Das gesamte Anwesen war von massiven, hohen Mauern umgeben, die weniger als Schutz gegen Eindringlinge dienten, sondern als unüberwindliches Bollwerk gegen die sich unaufhaltsam ausbreitende Natur errichtet worden waren.
Atemlos schaute Olivia um sich. Die großen, geraden Flächen in leuchtendem Ocker, überwuchert von Wein und Bougainvillea, erinnerten sie an den großen mexikanischen Architekten und Gartendesigner Luis Barragán. Innerhalb der
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