Oliviane – Der Saphir der Göttin
jedoch trotzdem nicht davon abhielt, ihr wie ein Wachhund zu folgen, als sie das Zelt verließ und sich in Richtung des gewaltigen, urzeitlichen Steinkreises entfernte, in dessen Schutz sie ihr Lager aufgeschlagen hatten.
Ein blasser halber Mond stand am Himmel und machte jede Fackel überflüssig. Obwohl der Wind von Zeit zu Zeit Wolken über diese Sichel jagte, war die Lichtung von kaltem, nächtlichem Licht erfüllt, das aussah, als würde es von den Steinen selbst verströmt. Sainte Croix machte einen Bogen um eine dunkle Stelle, wo das dürre Gras zu Asche verbrannt war und davon kündete, dass die einfachen Leute immer noch jener abergläubischen Mischung aus Christentum und alter Religion huldigten, die den Priestern ein Dorn im Auge war.
Er lehnte an einer der rohen Granitsäulen, als Oliviane auf ihrem Rückweg so dicht an ihm vorbeihuschte, dass er nach ihrem Arm greifen konnte.
Ein leiser Laut des Schreckens erstarb auf ihren Lippen, als sie ihn erkannte – weniger mit ihren Augen als mit ihren Sinnen. Es erinnerte sie daran, dass ihr Instinkt sie schon gewarnt hatte, als sie nur die Hand auf seine Faust gelegt hatte, um mit ihm zum Bankett zu gehen. Wie erbärmlich kurzsichtig sie doch gewesen war! Warum hatte sie nicht mehr auf ihre Gefühle gehört?
»Bereitet es Euch eigentlich Vergnügen, mich jedes Mal zu Tode zu erschrecken, wenn wir uns sehen?«, hauchte sie atemlos.
»Anscheinend fürchtet Ihr weniger die Geschöpfe der Nacht als mich!«
»Wundert Euch das? Als Landry schient Ihr mir menschlicher zu sein!«
»Was Ihr dem armen Menschen dann auch übel heimgezahlt habt!«
Oliviane hob ihr Gesicht dem Mondschein entgegen, als könnte sie aus seinem kalten Glanz Beherrschung und Kraft ziehen. Sie ahnte nicht, dass sie Hervé ein Antlitz von verzweifelter Schönheit zeigte, während sie versuchte, sich zu verteidigen.
»Woher sollte ich wissen, dass Ihr nicht der wart, der Ihr vorgabt zu sein? Ich bin keine dumme Gans, aber ich hätte nie vermutet, dass jemand so kühn sein könnte, sich in den Bau des alten Wolfes zu schleichen, um dort für die Montforts zu spionieren. Ihr selbst müsst doch fest darauf vertraut haben, dass niemand eine so absurde Idee für möglich halten würde. Andernfalls hättet Ihr diese Rolle nie gespielt, Ihr seid kein Narr. Werft Ihr mir vor, dass ich nicht klüger als alle anderen war?«
Der Umstand, dass sie die Wahrheit sagte, trug nicht dazu bei, seine Gereiztheit zu verringern. Ganz im Gegenteil.
»Hat es Euch Vergnügen gemacht, mit den Gefühlen des vermeintlich armen Teufels zu spielen, der bereit war, für Euch Kopf und Kragen zu riskieren?«
Oliviane schüttelte matt den Kopf. »Ich habe nie gelernt zu spielen, Seigneur! Meine Mutter war eine sehr fromme Frau, die mich vom ersten Tag meines Lebens an darauf vorbereitet hat, einem Orden beizutreten. Sie erschöpfte sich in einem verzehrenden Kreislauf aus Fehlgeburten und totgeborenen Söhnen. Aber erst als mein Vater fiel, wurde ich, Oliviane de Rospordon, wieder so interessant, dass mein Großvater seine ehrgeizigen Pläne mit mir verwirklichen wollte. Zu diesem Zeitpunkt war ich Novizin, und auch die Tage in Sainte Anne ließen keinen Raum für Zerstreuung!«
»Wart Ihr glücklich in Sainte Anne?«
Oliviane schüttelte stumm den Kopf, während hinter ihrer Stirn die Gedanken rasten. Es gab eine Antwort auf diese Frage, aber es war eine Antwort, die sie ihren ganzen Mut kosten würde, denn sie würde sich unbewaffnet in seine Hände geben. Sollte sie das Risiko eingehen? Und wenn ja, was würde er mit der Waffe anfangen, die sie ihm in die Hand gab?
»Ich kann mich nur an wenige Stunden erinnern, in denen ich etwas empfunden habe, das ich Glück nennen würde«, raunte sie verhalten. »Eine davon in einem zugigen Söller unter dem Gegurre unwilliger Tauben, die anderen unter dem Reetdach einer bescheidenen Hütte.«
Hervé de Sainte Croix starrte sie an. Eine Ader hämmerte an seinem Hals, und wäre da nicht sein Atem gewesen, der ihre Schläfen streifte, sie hätte ihn für eine Statue halten können.
»Ihr sagt, Ihr wisst nichts von Spielen, und versucht Euch dennoch an jenem mit dem Feuer«, hörte sie ihn leise erwidern. »Ich warne Euch!«
»Wovor?«
»Vor dem billigen Versuch, mich auf so simple Weise wieder in Eure Netze zu locken. Ich begehe ein und denselben Fehler nur ein einziges Mal!«
Oliviane zuckte unter der Beschuldigung zusammen. Gleichzeitig hatte sie das eigenartige
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