Oliviane – Der Saphir der Göttin
Eher fahre ich zur Hölle, Demoiselle!«
Er stürmte durch die Nacht zum Lager und ließ Oliviane allein zwischen den Steinen zurück. Sie schlang fröstelnd die Arme um den Oberkörper und wiegte sich im Mondlicht. Beinahe schmerzlich wurde sie sich der plötzlichen Einsamkeit bewusst. Sie bereute nicht, was sie getan hatte, aber ob es das Richtige gewesen war?
Die Befestigungen von Vannes tauchten im Schein der untergehenden Sonne am Horizont vor ihnen auf. An eine kleine Bodenerhebung geschmiegt, lag das Städtchen am Nordufer des Golfes von Morhiban.
»Wenn wir uns beeilen, erreichen wir die Stadt noch vor dem Schließen der Tore«, knurrte Hervé de Sainte Croix, als wäre Oliviane an einer möglichen Verzögerung schuld. »Es wäre mir lieb, wenn wir die Landstraßen endlich hinter uns hätten!«
Der unverhoffte Blickkontakt gab Oliviane Gelegenheit, ihm ein zärtliches Lächeln zuzuwerfen. Sie hatte bemerkt, dass diese Art von Lächeln stets dazu führte, dass er die Lippen hart aufeinander presste und die dunklen Brauen runzelte. Es war keine erfreuliche Reaktion, aber es war wenigstens eine, die über die steinerne Gelassenheit, die er sonst zur Schau trug, hinausging.
Es war stärker als sie – sie musste ihn einfach bei jeder Gelegenheit provozieren. Insgeheim verstand sie, dass er ihre Ankunft in Vannes herbeisehnte. Sie tat schließlich ihr Bestes, um ihn in die Enge zu treiben. Doch bisher war ihr der Erfolg versagt geblieben.
Hervé de Sainte Croix konnte nicht umhin zu bemerken, dass Oliviane sich verändert hatte. An die Stelle der stolzen Aristokratin, die sich in anerzogenem Gehorsam mit zusammengebissenen Zähnen in ihr Schicksal fügte, war eine Kriegerin getreten, die um jeden Fußbreit Boden mit ihm rang.
Vielleicht war es tatsächlich besser, wenn sie in einen Orden eintrat. Kein Mann würde sich auf Dauer ständig mit ihr messen wollen. Das Heim eines Mannes sollte ein Hort des Friedens sein und kein Schlachtfeld. Obgleich, die Schlacht mit dieser Amazone ...
24. Kapitel
Die massigen Granitsteine der Außenmauern hatten die Jahre der Vernachlässigung spurlos überdauert, aber das war auch schon alles, was sich zugunsten der Burg sagen ließ, die Vannes einmal beherrscht hatte. Hoch oben hingen noch die zerfetzten Reste alter Standarten, verblasst, vergessen und zu hoch, als dass sie einer der Bettler herabgerissen und sich darin eingewickelt hätte.
Auch der mächtige Eichentisch in der großen Halle hatte den Plünderern widerstanden. Er ging durch keine Tür, und die Platte war so stark, dass es einer wohlgeschliffenen Axt bedurft hätte, um ihn zu zerschlagen und zu verheizen. Es stank durchdringend nach vermodertem Stroh, nach Fäulnis, nach Verfall und Verwesung. Kurz, nach dem Untergang des stolzen Hauses Rospordon.
»Gibt es irgendwelche Räume, die man halbwegs bewohnbar machen kann?«, hörte sie Hervé de Sainte Croix draußen im Gewölbe fragen, das die große steinerne Treppe trug. »Es sieht verdammt nach Regen aus, und ich hätte gerne ein Dach über dem Kopf!«
Oliviane strich angeekelt mit den Fingerspitzen über die Schmutzschicht auf dem Tisch und gab sich einen Ruck. War es nicht ihr größter und heimlichster Wunsch gewesen, einmal die Herrin dieses Hauses zu sein? Nun, jetzt hatte sie die Gelegenheit, sich zu bewähren. Sie konnte beweisen, dass sie auch die Fähigkeiten dazu besaß.
Eine Woche später fügte Hervé de Sainte Croix ihren Vorzügen im Stillen auch noch respektvoll das Talent eines geborenen Feldherrn hinzu. Sie hatte eine Schar von Knechten und Mägden angeheuert und hielt sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit energischer Hand auf Trab.
Sie veranlasste, dass die Räume ausgemistet, mit Lauge geschrubbt, gesäubert und neu getüncht wurden. Sie gab eine solche Menge von Glasfenstern in Auftrag, dass die Handwerker von Vannes auf Monate, wenn nicht gar Jahre hinaus damit beschäftigt sein würden. Sie schickte die Bogenschützen los, um Stroh zu kaufen, damit die Steinböden frisch belegt werden konnten, und begann, die kühlen Vorratsgewölbe unter dem Haus mit dem Nötigsten zu füllen.
Wenn er dem Wunsch, sie zu sehen, nicht mehr widerstehen konnte, fand er sie wahlweise beim Bierbrauen, beim Kerzenziehen oder in der Küche damit beschäftigt, unter einer Vielzahl von Gerätschaften jene auszuwählen, welche ihr für die Küche eines noblen Hauses geeignet erschienen.
Und obwohl ihr Tag doppelt so ausgefüllt wie der aller
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