Olympiareife Nummern
ich muss los", rufe ich, „Renate wartet darauf, dass ich Lily abhole!" Uli schlurft entkräftet hinter mir her. „Ach, noch was", sage ich und registriere belustigt, dass er sich schon mal profilaktisch an der Wand abstützen muss, weil er den nächsten Klopfer von mir befürchtet. „Am Wochenende wird hier vermutlich ein alter Freund von mir hausen ... also der ist ganz normal - schwul, will ich damit sagen und total nett! Mach dich hübsch und leg auch mal wieder ein Reistag ein, hast es nötig! Küsschen!" Der arme Uli. Hoffentlich ist Dietlinde zu Hause. Bestimmt wird die Flasche Baileys heute leer ...
Jan
Acht Uhr. Ist wieder spät geworden für's Abendbrot.
Ich sitze nur mit den Kindern am Tisch. Nick schläft schon.
Tja, wer sich die ganze Nacht rumtreibt...?
Christoph und Katharina können ihre Verblüffung nicht verbergen und Lily findet's witzig, dass sie diesmal nicht die Erste ist, die im Bett liegt.
„Ob's am Wetter liegt?", sinniert Katharina, „echt, genau wie Patrick ...". Sie ist immer noch genervt, aber nicht mehr so sauer wie vorhin. Patrick muss sich nach seinem Erwachen mächtig ins Zeug gelegt haben. „Wieso?", fragt Christoph, „was war denn mit dem?" „Eingepennt ist er, auf meinem Bett!", sagt sie, „heute Nachmittag! Und dann kriegte ich ihn nicht mehr wach!" „Wie - beim Knutschen eingeschlafen?", kichert Christoph, „Mann, bist du aufregend!"
„Wir haben nicht geknutscht!", empört sich Katharina, „ich hab' ihm gerade was vorgelesen ...", sagt sie und sieht auf ihren Teller.
„Es muss was Persönliches gewesen sein", denke ich, als ich sie beobachte. Gott sei Dank hat Christoph nicht weiter darauf herumgehackt, er albert mit Lily herum.
Chris kann manchmal noch ein richtiger Kindskopf sein mit seinen fünfzehn Jahren. So wie jetzt. Er und Lily schneiden Fratzen und sie kichern, als gehörten sie in eine Altersklasse. Dann wiederum gibt es die Momente, in denen er einem manchmal schon ganz erwachsen vorkommt.
„Wir sollen einen kurzen Vortrag halten", sagte er neulich, „ganz kurz, keine fünf Minuten. Und keine Literatur wälzen. Thema konnten wir uns auch selbst aussuchen ... wollt ihr mal hören?" Nick und ich lagen faul auf dem Sofa. Katharina war noch unterwegs, Lily schon seit 'ner Stunde im Bett. „Ja, klar", sagte Nick. Ich setzte mich auf. Chris holte einen Zettel aus der Hosentasche, den er entfaltete. Dann räusperte er sich und fing an.
„Also, ich möchte was über Homosexualität erzählen." „Oh", dachte ich.
„Was das ist, weiß ja wohl jeder. Aber es gibt noch verdammt viele, die drüber lachen. Ich versteh' nicht, wieso. Hat nicht jeder Mensch das Recht, mit dem Partner glücklich zu werden, den er liebt? Dabei sollte es doch egal sein, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Homosexuelle sind in Deutschland früher strafrechtlich verfolgt worden. Im dritten Reich wurden sie in die Gaskammern gesteckt. Und warum? Weil sie jemanden vom falschen Geschlecht liebten.
Ich finde das grausam, dass Menschen bestraft wurden, weil sie liebten. Die Kirche predigt doch auch Nächstenliebe und dass Liebe wichtig ist.
Die katholische Kirche hat was gegen Schwule und Lesben. Die sagt, dass es Sünde ist, genau wie Geschlechtsverkehr, der nicht nur zur Kindszeugung ausgeübt wird. Ich glaube aber, dass beides menschlich ist. Und weil wir alle Menschen sind, sollten wir versuchen, Andersdenkende oder Andersliebende zu tolerieren.
Heutzutage dürfen Homosexuelle auch in Deutschland heiraten. Das finde ich gut. Das ist doch ein Schritt in die richtige Richtung, oder? Ja ... das war's", sagte er und starrte ein bisschen verlegen auf den Couchtisch. Nick hatte sich auch aufgesetzt und tastete nach meiner Hand. „Chris ... das war echt toll", sagte er. Ich konnte ihm anmerken, dass er genau so ergriffen war wie ich. Christoph und ich schauten uns an.
„Mensch, Großer, das war ja wie 'n Geschenk ... danke!" Er grinste mich frech an. „Heißt das, ich brauch dir nichts mehr für 'n Geburtstag kaufen?"
„Patrick spielt Basket-Ball, nicht?", fragt Christoph jetzt. „Ja. Warum?", fragt Katharina. Wir räumen den Tisch ab. „Och, neulich war 'ne Freistunde und wir konnten in der Halle zugucken, wo die trainierten ... er ist nicht schlecht", sagt er anerkennend. Auch daran merke ich, dass Christoph reifer geworden ist. Er streitet sich nicht mehr so oft mit Katharina. Früher hätte er sich den ganzen Abend darüber lustig gemacht, dass Patrick beim Vorlesen
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