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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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einmal angestrengt zu den Ringen hinaufzuschauen versuchte; er fragte sich, ob ein gr ö ßerer Teil von Prosperos Orbitalinsel erhalten geblieben war und ob Daeman mit seiner Überzeugung Recht hatte, dass es Caliban gewesen war, der die Mutter des jungen Mannes e r mordet und die anderen in Paris-Krater abgeschlachtet hatte.
    Minuten vergingen. Harman hatte den Eindruck, dass ihr Wi e dereintritt über jenem Kontinent erfolgte, der, wie er inzw i schen wusste, früher Südamerika genannt worden war. In beiden Hem i sphären gab es Wolken, die strudelten, zinnenartig aufquollen, sich kräuselten, abflachten und auftürmten, aber durch die L ü cken in der Wolkendecke erhaschte er auch einen Blick auf die breite Wasserstraße, wo, wie Savi ihnen einmal erklärt hatte, vor langer Zeit ein zusammenhängender Isthmus die beiden Kont i nente verbunden hatte.
    Dann umfing sie Feuer, und das Kreischen und Tosen wurde noch lauter als beim Aufstieg. Das Sonie bohrte sich wie ein roti e render Flechette-Pfeil in dickere Atmosphärenschichten.
    »Keine Angst, uns passiert nichts!«, rief Harman Hannah und Petyr zu. »Ich habe das schon erlebt. Uns passiert nichts.«
    Da sie ihn ohnehin nicht hören konnten – das Tosen war b e reits zu laut –, verzichtete Harman darauf, sein »Ich habe das schon erlebt« mit dem »einmal« einzuschränken, das ihm durch den Kopf ging. Hannah war mit an Bord gewesen, als dasselbe Sonie Daeman, Harman und sie von Prosperos auseinander brechender Orbitalinsel heruntergebracht hatte, aber sie war damals nicht ganz bei Bewusstsein gewesen und erinnerte sich nicht richtig an die Geschehnisse.
    Harman kam zu dem Schluss, dass es auch für ihn das Beste war, die Augen zu schließen, während das Sonie in seinem Mu t terschoß aus Plasma zur Erde zurücksauste.
    Was zum Teufel mache ich hier? Wieder erfüllten ihn Zweifel. Er war kein Anführer – was bildete er sich eigentlich ein, dieses S o nie und zwei Menschen, die ihm ihr Leben anvertrauten, derart in Gefahr zu bringen? Er hatte das Sonie noch nie mit dieser Meth o de geflogen; weshalb glaubte er, sie würden ta t sächlich an ihr Ziel gelangen? Und selbst wenn, wie konnte er es rechtfertigen, das Sonie just in dem Moment, in dem der Gemeinschaft die größte Gefahr drohte, von Ardis Hall abz u ziehen? Daemans Bericht über diese Setebos-Kreatur , die Paris-Krater und die anderen Faxkn o ten-Gemeinschaften zu Grabm a len machte, hätte oberste Priorität haben sollen, nicht dieser Abstecher zur Golden Gate und nach Machu Picchu, um Ody s seus zu retten. Wie konnte Harman es wagen, Ada zu verlassen, obwohl sie schwanger und auf ihn a n gewiesen war? N o man würde sowieso sterben, das stand so gut wie fest; weshalb setzte er mehrere hundert Leben – vielleicht s o gar mehrere zehntausend, wenn ihre Warnung die anderen G e meinschaften nicht erreichte – bei diesem nahezu hoffnungslosen Versuch aufs Spiel, den verletzten alten Mann zu retten?
    Den alten Mann. Während der Wind kreischte und das Sonie bockte, hielt sich Harman mit aller Kraft fest und schnitt eine Grimasse. Er war der alte Mann der Gruppe; es waren nicht ei n mal mehr zwei Monate bis zu seinem Fünften und letzten Zwa n ziger. Harman erkannte, dass er immer noch damit rec h nete, an seinem letzten Geburtstag zu verschwinden und zu den Ringen hinaufgefaxt zu werden, selbst wenn es dort keine Gen e sungstanks mehr gab, die ihn aufnehmen konnten. Und wer weiß schon, ob es nicht wirklich so kommt, dachte er. Harman hielt sich für den ältesten Menschen auf der Erde, vielleicht mit Ausnahme von Odysseus-Noman, der jedes beliebige Alter h a ben konnte. Aber Noman würde wahrscheinlich in wenigen Minuten oder Stunden tot sein. Und wir alle vielleicht auch, dac h te Harman.
    Was zum Teufel hatte er sich dabei gedacht, ein Kind mit e i ner Frau zu zeugen, die ihren Ersten Zwanziger erst um sieben Jahre überschritten hatte? Mit welchem Recht drängte er and e re, zu den Familienvorstellungen des Untergegangenen Zeitalters zurückz u kehren? Wieso maßte er sich an zu behaupten, die neue Realität verlange, dass die Mutter und andere den Kindsvater kennen müssten und der Mann bei der Frau und den Kindern bleiben so l le? Was wusste der alte Mann namens Harman wirklich von dem alten Familienkonzept – von der Pflicht – von irgendetwas, und wer war er, dass er glaubte, i r gendwen führen zu können? Das einzig Einzigartige an ihm war, dass er sich das Lesen beigebracht hatte. Viele

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