Olympos
sie verfolgenden Trojaner von der fackelbeschienenen Ebene unten herauf. In der Stadt ertönt Jubel.
Plötzlich taucht Hockenberry wieder auf. »Du bist dran«, sagt er und berührt Helena am Unterarm. »Du hattest Recht, kein Gott hat mich verfolgt. Heute Nacht herrscht zu großes Chaos.« Er macht eine Kopfbewegung zum Himmel, wo es von herabstoße n den Streitwagen und vernichtenden Energieblitzen wimmelt.
Bevor Hockenberry erneut sein Medaillon berührt, hält er i n ne. »Bist du sicher, dass Menelaos mir nichts tut, wenn ich dich zu ihm bringe, Helena?«
»Er wird dir nichts tun«, flüstert Helena. Sie wirkt beinahe gei s tesabwesend, als horchte sie auf die Schritte auf der Treppe.
Ada kann nur den Wind und ferne Rufe hören.
»Warte einen Moment, Hock-en-bär-iihh«, sagt Helena. »Ich muss dir sagen, dass du ein guter Liebhaber warst … ein guter Freund. Ich mag dich sehr gern.«
Hockenberry schluckt sichtbar. »Ich … mag … dich auch, Hele n a.«
Die schwarzhaarige Frau lächelt. »Ich werde nicht zu Menelaos gehen, Hock-en -bär-iihh. Ich hasse ihn. Ich fü rchte ihn. Ich werde mich ihm nie wieder unterwerfen.«
Hockenberry blinzelt und schaut zu den nunmehr fernen achä i schen Linien hinaus. Sie gruppieren sich hinter ihren eigenen pfahlbewehrten Gräben neu, drei Kilometer entfernt, nahe bei der endlosen Reihe von Zelten und Feuern, wo die unzähligen schwarzen Schiffe auf den Sand gezogen worden sind. »Er wird dich töten, wenn sie die Stadt einnehmen«, sagt er leise.
»Ja.«
»Ich kann dich wegbringen. Irgendwohin, wo du in Sicherheit bist.«
»Stimmt es, mein lieber Hock-en-bär-iihh, dass die ganze Welt jetzt leer ist? Die großen Städte? Mein Sparta? Die steinernen G e höfte? Odysseus ’ Insel Ithaka? Die goldenen Städte Pers i ens?«
Hockenberry kaut auf seiner Lippe. »Ja«, sagt er schließlich, »es stimmt.«
»Wohin könnte ich dann gehen, Hock-en-bär-iihh? Zum Olymp? Selbst das Loch ist verschwunden, und die Olympier sind ve r rückt geworden.«
Hockenberry zeigt ihr seine offenen Hände. »Dann werden wir einfach darauf vertrauen müssen, dass Hektor und seine Legionen sie abwehren, Helena … mein Schatz. Ich schwöre dir, was auch immer geschieht, ich werde Menelaos niemals sagen, dass du b e schlossen hast, hier zu bleiben.«
»Ich weiß«, sagt Helena. Aus ihrem weiten Ärmel gleitet ein Messer in ihre Hand. Sie holt aus und rammt Hockenberry die kurze, aber sehr scharfe Klinge unter die Rippen, stößt sie bis zum Heft hinein. Sie dreht die Klinge, um das Herz zu finden.
Hockenberry öffnet den Mund wie zu einem Schrei, kann j e doch nur nach Luft schnappen. Die Hände in den blutigen Bauch g e krallt, bricht er zusammen.
Helena hat das Messer herausgezogen, als er gestürzt ist. »Leb wohl, Hock-en-bär-iihh.« Sie geht rasch die Stufen hinunter. Ihre Pantoffeln machen fast kein Geräusch auf dem Stein.
Ada schaut auf den blutenden, sterbenden Mann hinunter und wünscht, sie könnte etwas tun, aber sie ist natürlich u n sichtbar und immateriell. Aus einem spontanen Impuls heraus hebt sie die Hand ans Turin-Tuch, spürt die Stickerei unter den Fingern und stellt sich in Erinnerung an Harmans Kommunik a tion mit dem Sonie drei blaue Quadrate in der Mitte dreier roter Kreise vor.
Auf einmal ist Ada dort – sie steht auf jener zerstörten, freigele g ten Plattform in dem dachlosen Turm in Ilium. Es ist kein Turin-Bild dieser Szenerie, sondern sie ist wirklich dort. Sie spürt den kalten Wind, der an ihrer Bluse und ihrem Rock zerrt. Sie riecht den Geruch des Viehs und die fremdartigen Koc h dünste, die vom nächtlichen Marktplatz unten heraufsteigen. Sie hört das Tosen der Schlacht jenseits der Mauer und spürt, wie die Luft von den großen Glocken und Gongs vibriert, die überall auf den Mauern Trojas ertönen. Sie schaut hinunter und sieht ihre Füße, die fest auf dem rissigen Steinboden stehen.
»Hilf … mir … bitte«, flüstert der blutende, sterbende Mann. Er hat allgemein gebräuchliches Englisch gesprochen. Die Augen vor Entsetzen geweitet, erkennt Ada, dass er sie sehen kann … er starrt sie direkt an. Mit letzter Kraft streckt er ihr die linke Hand entg e gen, beschwörend und flehend.
Ada riss sich das Turin-Tuch von der Stirn.
Sie war in ihrem Zimmer in Ardis Hall. Zu Tode erschrocken, mit klopfendem Herzen, rief sie die Zeitfunktion in ihrer Handfl ä che auf.
Es waren erst zehn Minuten vergangen, seit sie sich mit dem Turin-Tuch
Weitere Kostenlose Bücher