Olympos
gen. Petyr hob seinen Bogen. Harman und Hannah legten die Hand ans Heft ihres Schwertes. Die Gestalt trat aus der Dunke l heit hinter den Überwachungsmaschinen hervor.
Harman wusste sofort – wenn auch nicht, woher –, dass dies j e ner Ariel war, von dem Savi und Prospero gesprochen hatten. Die Gestalt war klein – keine anderthalb Meter groß – und nicht ganz menschlich. Er oder sie hatte grünlich-weiße Haut, die keine ric h tige Haut war – Harman konnte durch die äußere Schicht ger a dewegs ins Innere schauen, wo funkelnde Lichter in einer sm a ragdgrünen Flüssigkeit zu schweben schienen –, und ein perfekt geformtes, so androgynes Gesicht, dass es Harman an Bilder von Engeln erinnerte, die er aus einem der ältesten Bücher in Ardis Hall gesiglt hatte. Er oder sie besaß lange, schlanke Arme und normale Hände, jedoch mit überaus langen, anmutigen Fingern, und die Füße schienen in weichen grünen Schlupfschuhen zu st e cken. Zunächst dachte Harman, die Ariel-Gestalt trüge Kleider – oder vielmehr eine Reihe he l ler, mit Blättern verzierter Ranken, die sich mehrmals um ihren schlanken Leib wanden und zu e i nem eng anliegenden Gan z körperanzug vernäht waren –, aber dann erkannte er, dass di e ses Muster nicht auf, sondern in der Haut des Geschöpfs lag. Trotzdem gab es keinerlei Indizien für seine Geschlechtszug e hörigkeit.
Ariels Gesicht war durchaus menschlich – lange, schmale N a se, volle Lippen, die sich zu einem leichten Lächeln krümmten, schwarze Augen, lockige Haare, die ihr oder ihm in grünlich-weißen Strähnen bis auf die Schultern fielen –, aber der Effekt, dass man durch Ariels transparente Haut auf die schwebenden Lichtknoten im Innern schauen konnte, schmälerte den Ei n druck erheblich, ein menschliches Wesen vor sich zu haben.
»Du bist Ariel, nicht wahr«, sagte Harman, ohne es richtig als Frage zu formulieren.
Die Figur bestätigte das mit einem Nicken. »Wie ich sehe, hat Savi euch von mir erzählt«, sagte er oder sie mit dieser aufre i zend leisen Stimme.
»Ja. Aber ich dachte, du wärst … immateriell … wie Prosperos Projektion.«
»Ein Hologramm«, sagte Ariel. »Nein. Prospero nimmt nach B e lieben Substanz an, aber es beliebt ihm nur selten. Ich hing e gen liebe es, leiblich zu sein, obwohl ich so lange von so vielen Luf t geist oder Sylphe geheißen wurde.«
»Weshalb sagst du, dass diese Krippe Odysseus töten wird?«, fragte Hannah. Sie hockte neben dem Bewusstlosen und versuc h te, seinen Puls zu ertasten. Für Harman sah Noman tot aus.
Ariel trat näher. Harman warf Petyr, der auf die durchscheine n de Haut der Gestalt starrte, einen Blick zu. Der jüngere Mann ha t te den Bogen gesenkt, wirkte jedoch nach wie vor schockiert und misstrauisch.
»Das hier sind Krippen, wie sie Savi benutzt hat«, sagte Ariel mit einer Handbewegung zu den acht Kristallsärgen. »Darin wird jede Aktivität des Körpers zeitweilig eingestellt oder ve r langsamt, das stimmt, wie bei einem Insekt in Bernstein oder einem Leic h nam im Eis, aber diese Liegen heilen keine Wunden, nein. Ody s seus verbirgt hier seit Jahrhunderten seine eig e ne Zeitarche, deren Fähigkeiten mein Begriffsvermögen übe r steigen.«
»Was bist du?« Hannah stand auf. »Harman hat uns erklärt, Ariel sei ein Avatar der ichbewussten Biosphäre, aber ich weiß nicht, was das bedeutet.«
»Das weiß niemand.« Ariel machte eine grazile Bewegung, teils Verbeugung, teils Knicks. »Wollt ihr mir also nun zu Odysseus ’ Arche folgen?«
Ariel führte sie zu der Wendeltreppe, die sich helixartig durch die Decke nach oben schraubte, doch statt hinaufzusteigen, le g te sie die rechte Hand auf den Boden, und ein verborgenes Segment öffnete sich wie eine Irisblende und gab den Blick auf eine weit e re, abwärts führende Wendeltreppe frei. Die Stufen waren breit genug für die Tragbahre, aber es war dennoch eine harte und mühsame Arbeit, den schweren Odysseus die Treppe hinunterz u schleppen. Petyr musste Hannah vorne helfen, damit der B e wusstlose nicht herunterrutschte.
Dann folgten sie einem grünen Blasenkorridor zu einem klein e ren Raum, der noch weniger Licht hereinließ als die Kammer mit den Kristallsärgen oben. Überrascht stellte Harman fest, dass sich dieser Raum nicht in einer der Buckyglas-Blasen b e fand, sondern in den Beton und Stahl des eigentlichen Brücke n turms gehauen war. Hier gab es nur eine einzige Krippe, die sich erheblich von den gläsernen Kästen
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