Olympos
Wesen in dem dreieckigen Raum einzusperren. Aber es trippelte in diesem Raum hin und her, allem Anschein nach bereit und fast schon imstande, die e i nen guten halben Meter hohen, instabilen hölzernen Barrik a den zu erklimmen.
Ada nahm Tom die Fackel ab und hockte sich hin, um das Set e bos-Wesen im flackernden Lichtschein zu betrachten.
Es blinzelte und schloss seine vielen gelben Augen gegen die Helligkeit. Der kleine Setebos – falls er das war – maß ungefähr dreißig Zentimeter; er war jetzt schon schwerer und länger als ein normales menschliches Gehirn, dachte Ada, ähnelte mit se i nen widerwärtig rosafarbenen Runzeln und Falten jedoch i m mer noch einem lebendigen, körperlosen Denkorgan. Sie sah den grauen Streifen zwischen den beiden Hälften, eine schleimige Mem b ran, die es bedeckte, und ein leichtes Pulsieren, als würde das ganze Ding atmen. Darüber hinaus besaß dieses rosafarbene Gehirn j e doch auch Münder – oder Öffnungen i r gendwelcher Art –, die sich rhythmisch bewegten, und zahllose winzige, rosafarbene B a byhände saßen an der Unterseite und ragten aus den Öffnungen. Auf diesen kleinen, dicken, rosafa r benen Fingern, die für Ada wie eine Masse sich windender Würmer au s sahen, krabbelte es hin und her.
Die gelben Augen öffneten sich, blieben offen und richteten sich auf Adas Gesicht. Kreischende, kratzende Laute kamen aus einer der Mundöffnungen.
»Versucht es zu sprechen?«, fragte Ada die beiden Männer leise.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Daeman. »Aber es ist erst ein paar Minuten alt. Ich wäre nicht überrascht, wenn es mit uns spricht, sobald es eine Stunde alt ist.«
»Wir sollten nicht zulassen, dass es eine Stunde alt wird«, sa g te Tom leise, aber mit fester Stimme. »Wir sollten es jetzt sofort töten – eine Salve Flechettes reinjagen, den Kadaver verbrennen und die Asche zerstreuen.«
Ada sah Tom überrascht an. Der autodidaktische Heilkundige war immer der am wenigsten gewalttätige und lebensbej a hendste Mensch in Ardis gewesen, den sie gekannt hatte.
Daeman beobachtete, wie das Wesen erfolgreich die niedrige hölzerne Barriere zu erklimmen versuchte. »Zuallermindest braucht es eine Leine«, sagte er.
Mit seinen schweren Handschuhen aus Segeltuch und Bau m wolle, die sie in Ardis Anfang des Winters für die Arbeit mit dem Vieh angefertigt hatten, beugte Daeman sich vor und stieß einen spitzen, dünnen Stift, den er zu einem Haken gebogen hatte, in das feste Gewebeband – Ada erinnerte sich, dass es Corpus Call o sum hieß –, das die beiden Gehirnhälften des kleinen Setebos ve r band. Dann zog er mit raschen Bewegungen daran, um sich zu vergewissern, dass der Haken festsaß, befe s tigte einen Karabiner daran und band eine sechs Meter lange Nylonschnur an den K a rabiner.
Das kleine Geschöpf schrie und kreischte so laut, dass Ada sich in der festen Überzeugung, alle würden aus dem Schuppen que l len, zum Hauptlager umblickte. Aber nichts rührte sich, nur ein Wachposten beim Feuer blickte schläfrig in ihre Richtung und schaute dann wieder in die Flammen.
Der kleine Setebos zappelte und überschlug sich, stürmte g e gen die hölzernen Barrieren an und kletterte schließlich wie ein Krebs über sie hinweg. Daeman straffte ein knapp zwei Meter langes Stück Leine und hielt ihn fest.
Weitere winzige Hände entfalteten sich in den Öffnungen des rosafarbenen Gehirns, kamen hervor und zogen sich an minde s tens einen Meter langen elastischen Stängeln entlang. Die Hände sprangen an die Nylonschnur und zerrten wild daran, andere Hände untersuchten den Haken und den Karabiner und versuc h ten, sich davon zu befreien. Der Haken hielt. Daeman wurde eine Sekunde lang vorwärts gezogen, riss die krabbel n de Kreatur dann jedoch ruckartig auf das gefrorene Gras ihres Käfigs zurück.
»Kräftiger kleiner Bastard«, sagte er leise.
»Lass ihn laufen«, sagte Ada. »Mal sehen, wohin er geht. Was er macht.«
»Ist das dein Ernst?«
»Ja. Nicht weit, aber … mal sehen, was er will.«
Tom stieß die niedrige Mauer aus Pfählen um, und das Set e bos-Baby flitzte hinaus. Die Babyfinger unter ihm arbeiteten im Gleichklang, verschwammen wie die Beine eines obszönen Ta u sendfüßlers.
Daeman ließ sich hinterherschleifen, hielt die Leine jedoch kurz. Ada und Tom gingen neben Daeman her, bereit, sofort etwas zu unternehmen, wenn die Kreatur sich gegen sie wan d te. Sie war so schnell und zielstrebig, dass jeder von ihnen die von ihr ausg e
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