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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ausgestreckt und an die Bettpfosten gebunden waren. »Du hast nur daran gedacht, deinen Sohn zu retten, der schän d lich ermordet worden wäre, wie wir wissen, wenn die alte Ve r gangenheit zu unserer jetzigen Gegenwart geworden wäre. Ich verstehe das, Andromache.«
    Andromache streckte das Messer aus. »Es würde den Tod me i ner gesamten Familie bedeuten – ja, sogar Hektors Tod –, wenn du jemals wieder darüber sprächest und wenn der Pöbel – Troj a ner wie Achäer – dir glauben würde. Dein Tod ist meine einzige Sicherheit.«
    Kassandra begegnete dem ausdruckslosen Blick der anderen Frau. »Meine Sehergabe kann dir immer noch gute Dienste lei s ten, alte Freundin. Sie könnte dich sogar retten – dich, deinen Hektor und deinen versteckten Astyanax, wo immer er sein mag. Du weißt, wenn mich meine Visionen befallen, habe ich keine Macht über das, was ich sage. Du, Helena und wer sonst noch an dieser Verschwörung beteiligt ist – bleibt bei mir oder stellt mir mörder i sche Sklavinnen zur Seite – und schließt mir den Mund, wenn ich wieder anfange, solche Wahrheiten au s zuplaudern. Wenn ich es anderen verrate, dann tötet mich.«
    Andromache zögerte, biss sich leicht auf die Unterlippe, beu g te sich dann vor und schnitt das Seidenband durch, mit dem Ka s sandras rechtes Handgelenk ans Bett gebunden war. Wä h rend sie die anderen Bänder durchtrennte, sagte sie: »Die Am a zonen sind da.«
     
    Menelaos verbrachte die ganze Nacht damit, seinem Bruder z u zuhören und dann mit ihm zu reden, und als die Morgenröte ihre Rosenfinger ausbreitete, war er entschlossen, etwas zu unterne h men.
    Die ganze Nacht hindurch war er von einem Achäer- und Dan a erlager an der Bucht und entlang der Küste zum anderen gega n gen und hatte Agamemnon zugehört, der die schreckliche G e schichte ihrer leeren Städte, leeren Felder und verlassenen Häfen erzählte – von unbemannten griechischen Schiffen, die in Mar a thon, Eretria, Chalkis, Aulis, Hermione, Tiryns, Helos und einem Dutzend anderer Küstenstädte vor Anker lagen. Er hörte zu, wie Agamemnon den entsetzten Achäern, Argeiern, Kr e tern, Ithakern, Lakedämoniern, Kalydnäern, Buprasiern, Dulichioniden, Pylos i ern, Pharisern, Spartanern, Messenern, Thr a kern und Oichaliern – all den Hunderten verbündeter Gruppen diverser Griechen vom Festland, den felsigen Inseln und vom Peloponnes – berichtete, dass ihre Städte leer und ihre Häuser verlassen waren, als hätten die Götter es so gewollt – Speisen, die auf Tischen verdarben, auf Klinen ausgebreitete Kleidungsstücke, lauwarme und mit Alge n schaum bedeckte Bäder und Schwimmbecken, herumliegende blanke Waffen. In der Ägäis, so schilderte es Agamemnon mit se i ner vollen, kräftigen, drö h nenden Stimme – leere Schiffe, gegen deren Bäuche die Wellen klatschten, geblähte, aber zerrissene S e gel, ohne jeden Hinweis darauf, dass sie eingeholt worden waren oder dass es einen Sturm gegeben hatte – der Himmel sei wä h rend ihrer monatelangen Reise blau gewesen, der Seegang ni e mals stärker als ü b lich, erklärte Agamemnon –, aber die Schiffe waren leer: athen i sche Schiffe, die Bäuche voller Fracht oder noch geschmückt von Reihen unbemannter Ruder; große persische G a leeren ohne ihre tollpatschigen Besatzungen und behelmten, m i serablen Lanzenkämpfer; elegante ägyptische Schiffe, die Getreide zu den Heimatinseln brachten.
    »Die Welt ist ihrer Männer, Frauen und Kinder beraubt wo r den«, rief Agamemnon in jedem achäischen Lager, »nur wir sind noch da, die verschlagenen Trojaner und wir. Während wir den Göttern den Rücken gekehrt haben – noch schlimmer, uns mit Herz und Hand gegen sie gestellt –, haben die Götter das Licht unserer Herzen verschleppt: unsere Frauen und Ki n der, unsere Väter und Sklaven.«
    »Sind sie tot?«, rief ein Mann nach dem anderen in einem L a ger nach dem anderen. Die Rufe wurden stets von kummervo l lem Jammern begleitet. Wehklagen erfüllten die Winternacht übe r all an der Kette der griechischen Feuer.
    Agamemnon hob jedes Mal die Hände und ließ einen schreckl i chen Moment lang Stille einkehren, bevor er antwortete. »Es gab keine Kampfspuren«, sagte er schließlich. »Kein Blut. Keine ve r wesenden Leichen, die den hungernden Hunden und kre i senden Vögeln als Nahrung dienten.«
    Und immer, in jedem Lager, führten die tapferen argeiischen B e satzungen, Leibwachen, Fußsoldaten und Anführer, die Ag a memnon nach Hause

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