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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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und mir wurde klar, dass wir alle Glück gehabt hatten, nur einen Meter und si e benundfünfzig Zentimeter tief zu fallen. Ohne den römischen Schutt auf den griechischen Ruinen wäre der Sturz viel schlimmer gewesen. Im Norden, wo sich viele Kilometer weit die Ebene des Flusses Simoeis erstreckt hatte, ein flaches Gra s land, perfekt als Weidefläche und Rennbahn für die berühmten trojanischen Pferde geeignet, wuchs nun ein Wald. Die sanfte Ebene des Skamandros, das Gebiet zwischen der Stadt und der Küste im Westen, die Ebene, wo ich während der letzten elf Jahre den größten Teil der Kämpfe beobachtet hatte, war jetzt ein von Wasserrinnen durchzogenes Wirrwarr aus Macchia, Pinien und sumpfigem Marschland. Ich machte mich auf den Weg zum Strand, erklomm den Hügel Batieía, wie die Trojaner ihn genannt hatten, ohne ihn überhaupt zu erkennen, doch s o bald ich die niedrige Hügelkuppe erreicht hatte, blieb ich e r staunt stehen.
    Das Meer war verschwunden.
    Es war nicht nur die rund anderthalb Kilometer weit zurüc k gewichene Küstenlinie, von der ich aus den Erinnerungen an mein früheres Leben im einundzwanzigsten Jahrhundert wus s te, die ganze verdammte Ägäis war weg!
    Ich setzte mich auf den größten Felsbrocken, den ich auf dem Batieía finden konnte, und dachte darüber nach. Ich fragte mich nicht nur, wohin uns Nyx und Hephaistos geschickt hatten, sondern auch in welche Zeit. Im schwindenden Licht der Dä m merung konnte ich momentan nur erkennen, dass landeinwärts oder an der Küste kein elektrisches Licht leuchtete und dass der Boden dort, wo eigentlich die Ägäis sein sollte, mit ausgewac h senen Bäumen und Büschen bewachsen war.
    Wir waren nicht nur weit weg von zu Hause, wir waren nicht ei n mal mehr im Lande Oz.
    Der Abendhimmel war vollständig von Wolken bedeckt, aber es war immer noch hell genug, dass ich die Abertausende Männer sehen konnte, die sich in einem achthundert Meter durchmessenden Halbrund drängten, wo noch vor einer Vie r telstunde der Strand gewesen war. Zuerst war ich sicher, dass sie noch kämpften – ich sah viele tausend weitere Gefallene auf beiden Seiten –, aber dann erkannte ich, dass sie nur durche i nander liefen. Kampflinien, Gräben und Verteidigungsanlagen hatten jede Bedeutung verloren, Kommunikation und Disziplin gab es nicht mehr. Später sollte ich entdecken, dass fast ein Drittel der Männer dort unten, Trojaner wie Achäer, sich bei diesem Anderthalb-Meter-Sturz auf Stein und in Wasserrinnen, die noch eine Sekunde zuvor nicht da gewesen waren, Knochen gebrochen hatten – größtenteils Beinknochen. Und wie ich bald feststellen würde, lagen hier und dort Männer, die noch ein paar Minuten zuvor versucht hatten, sich gegenseitig Bauch und Schädel zu zerschnetzeln, stöhnend nebeneinander oder versuchten, einander auf die Beine zu helfen.
    Ich eilte den Hügel hinab und überquerte die anderthalb K i lometer breite Schwemmebene, die zuvor, kahl und abgenutzt vom Schlachtengetümmel, so viel leichter zu überqueren gew e sen war. Als ich die hintersten Reihen der trojanischen Linien erreichte – soweit man überhaupt noch von Linien sprechen konnte –, war es beinahe dunkel.
    Ich erkundigte mich sofort nach Hektor, aber es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis ich ihn fand, und zu diesem Zei t punkt wurde alles bereits im Fackelschein erledigt.
    Hektor und sein verwundeter Bruder Deiphobos berieten sich mit den vorläufigen Befehlshabern der Danaer – Idomeneus, Sohn des Deukalion und Führer der kretischen Helden, und Ajax von Lokris, Sohn des Oileus. Der kleine Ajax war auf einer Trage zu der Versammlung gebracht worden, weil er bei den Kämpfen knochentiefe Schnittwunden an beiden Schienbeinen davongetragen hatte. Außer den beiden nahm auch noch Thrasymedes an der Beratung teil, Nestors tapferer Sohn, der, wie ich geglaubt hatte, früher an diesem Tag getötet worden war – er hatte seit der Schlacht um den letzten Graben als ve r misst gegolten, und man hatte angenommen, dass er tot unter den Leichen dort lag, aber wie ich gleich erfahren sollte, war er nur ein drittes Mal verwundet worden, hatte jedoch Stunden gebraucht, um sich aus dem mit Leichen gefüllten Graben he r auszuarbeiten, nur um sich inmitten der Trojaner wiederzufi n den. Sie hatten ihn gefangen genommen – einer der wenigen bar m herzigen Akte an diesem oder irgendeinem Tag des fast elfjährigen Krieges zwischen den beiden Gruppen –, und jetzt b e nutzte er eine

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