Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
abgebrochene Lanze als Krücke, während er mit Hektor verhandelte.
    »Hock-en-bär-iihh«, rief Hektor, der sich offenbar – selts a merweise – freute, mich zu sehen. »Sohn des Duane! Wie schön, dass du diesen Wahnsinn überlebt hast. Was ist geschehen? Wer oder was hat uns das angetan?«
    »Die Götter«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Um genau zu sein, der Feuergott Hephaistos und Nacht – Nyx –, die myster i öse Göttin, die mit den Moiren zusammenlebt und – arbeitet.«
    »Ich weiß, dass du engen Kontakt zu den Göttern hattest, Hock-en-bär-iihh, Sohn des Duane. Warum haben sie das g e tan? Was wollen sie von uns?«
    Ich schüttelte den Kopf. Die Fackeln rissen und zerrten an der Nacht, angefacht von der starken Brise, die von Westen kam – aus der Richtung, wo einmal das Mittelmeer gewesen war –, jetzt jedoch nur noch Vegetationsgerüche herantrug. »Es spielt keine Rolle, was die Götter wollen«, sagte ich. »Ihr werdet sie nie Wiedersehen. Sie sind ein für alle Mal verschwunden.«
    Die einhundert oder zweihundert dicht gedrängten Männer um uns herum schwiegen, und einen Moment lang war nur das Knistern der Fackeln und das Stöhnen der vielen Verwundeten im Dunkeln zu hören.
    »Woher weißt du das?«, fragte der kleine Ajax.
    »Ich komme gerade vom Olympos«, sagte ich. »Euer Achilles hat Zeus im Zweikampf getötet.«
    Das Gemurmel wäre zu einem lauten Stimmengewirr ang e wachsen, wenn Hektor nicht alle zum Schweigen gebracht hä t te. »Sprich weiter, Sohn des Duane.«
    »Achilles hat Zeus getötet, und die Titanen sind zum Oly m pos zurückgekehrt. Von nun an wird Hephaistos herrschen – Nacht und die Moiren haben es bereits so beschlossen –, aber für das nächste Jahr wäre eure Erde ein Schlachtfeld gewesen, auf dem kein Sterblicher hätte überleben können. Deshalb hat Hephaistos euch – die Stadt, ihre Überlebenden, euch Achäer und Trojaner – hierher geschickt.«
    »Wo sind wir hier?«, fragte Idomeneus.
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Wann werden wir zurückkehren dürfen?«, wollte Hektor wissen.
    »Niemals«, sagte ich. In diesem Punkt war ich mir sicher, und meine Stimme spiegelte diese Gewissheit. Ich weiß nicht, ob ich davor oder danach je zwei Silben mit solcher Gewissheit ausg e sprochen habe.
    In diesem Moment geschah das zweite von drei unmöglichen Dingen an diesem Tag – das erste war nach meiner Zählung Iliums Sturz in ein anderes Universum gewesen.
    Seit die Stadt auf dem Hügelkamm gelandet war, breiteten sich dicke Wolken über dem Gebiet aus, und die Abenddä m merung sowie die Dunkelheit waren wegen dieser Wolkend e cke schneller hereingebrochen. Doch nun schob der Wind, der den Vegetationsgeruch herangetragen hatte, die gesamte Wo l kenmasse von West nach Ost, und der Nachthimmel über uns klärte sich.
    Wir hörten die Männer – Achäer wie Trojaner – lange Seku n den schreien, bevor wir erkannten, dass sie zum Himmel scha u ten und emporzeigten.
    Ich gewahrte das seltsame Licht, noch bevor ich den Blick zum Himmel hob. Es war heller als jede Vollmondnacht, die ich jemals erlebt hatte – ein satteres, milchigeres und seltsame r weise flüssigeres Licht. Ich ertappte mich dabei, wie ich auf u n sere vielfachen, sich bewegenden Schatten auf dem Gestein u n ter uns schaute – Schatten, die nicht mehr vom Fackelschein geworfen wurden –, als Hektor persönlich mich am Arm a n stieß, damit ich nach oben blickte.
    Die Wolken hatten sich fast vollständig verzogen. Der Nach t himmel war noch immer der Nachthimmel der Erde; ich sah den Oriongürtel, die Pleiaden, Polaris und den Großen Bär tief im Norden, alle mehr oder weniger am richtigen Platz, aber der vertraute spätwinterliche Himmel und die Mondsichel über dem gefallenen Troja im Osten waren gegenüber dieser neuen Lichtquelle zur Bedeutungslosigkeit verblasst.
    Zwei breite Sternbänder kreuzten sich über uns, ein Band im Süden, das sich rasch von Westen nach Osten bewegte, der a n dere Ring direkt über uns; er zog von Norden nach Süden. Die Ringe waren hell und milchig, aber nicht verschwommen; ich konnte Abertausende heller, einzelner Sterne in jedem Ring ausmachen, noch während eine verloren geglaubte Erinnerung an eine wissenschaftliche Kolumne in irgendeiner Zeitung mir ins Gedächtnis rief, dass von den meisten Orten auf der Erde aus selbst in der klarsten Nacht dort oben nur ungefähr dre i tausend einzelne Sterne zu sehen waren. Jetzt waren mehrere zehn-, vielleicht sogar

Weitere Kostenlose Bücher