Olympos
entfährt es mir erneut.
Über uns ist ein horizontales, offenbar kilometergroßes Bran-Loch aufgetaucht, wie ich es zuvor schon über dem Olymp g e sehen habe – ein flacher, von Flammen gesäumter Kreis. Es sinkt rasch herab. Durch das Loch kann ich dunklen Himmel und Sterne sehen.
»Verdammt!« Ich beschließe im letzten Moment, nicht zu quantenteleportieren – die Gefahr, dass wir im Quantenraum gefangen werden, wenn das Bran-Loch uns trifft, ist zu groß.
Ich ziehe die mit weit aufgerissenen Augen entsetzt drei n schauende Helena ein Dutzend Meter zum Zentrum des großen Platzes zurück. Mit etwas Glück werden wir außer Reichweite der einstürzenden Mauern und Gebäude sein.
Der Feuerreifen fällt um uns herab, umschließt Ilium sowie die Hügel, Ebenen, Sümpfe und Strände in der Umgebung der Stadt im Umkreis von mindestens drei Kilometern, und kurz nachdem er herabgefallen ist, fallen wir. Es ist ein Gefühl, als stünde das gesamte alte Troja auf einem Fahrstuhl, der sich plötzlich von seinen Seilen löst, und zwei Sekunden später bricht die Hölle los.
Viel später sollten mir die Moravec-Ingenieure erzählen, dass die gesamte Stadt Ilium buchstäblich einen Meter und si e benundfünfzig Zentimeter in die Tiefe stürzte, bevor sie auf dem Boden der heutigen Erde landete. Alle, die am Strand kämpften – mehr als hundertfünfzigtausend schreiende, schwitzende Männer –, stürzten ebenfalls plötzlich einen Meter und siebe n undfünfzig Zentimeter in die Tiefe und landeten nicht etwa auf weichem Strandsand, sondern auf dem Gestein und verfilzten Gestrüpp, das an die Stelle des Sandes getreten war, nachdem sich die Küstenlinie fast dreihundert Meter weit nach Westen zurückgezogen hatte.
Was Helena und mich auf Iliums großem Marktplatz betrifft, so wären diese letzten Minuten Iliums fast auch unsere letzten Minuten gewesen.
Der dachlose Turm an der Mauer jenseits der südöstlichen Ecke dieses Platzes – eben jener beschädigte, dachlose Turm, in dem Helena mich vor einer Ewigkeit, wie es mir schien, ins Herz gestochen hatte – geriet ins Wanken, kippte wie ein ries i ger Fabrikschornstein um und stürzte über niedrigere Gebäude direkt auf uns herab, während wir uns auf dem offenen Platz beim Brunnen zusammenkauerten.
Der Brunnen rettete uns das Leben. Das vielstufige Bauwerk mit seinem Wasserbecken und dem zentralen, höchstens dre i einhalb Meter hohen Obelisken war gerade groß genug, um die Bahn der herabstürzenden Trümmer des Turms zu teilen, s o dass wir hustend in einer Wolke aus Staub und kleineren Trümmerstücken hockten, während die größeren Steinblöcke über den Marktplatz woandershin rollten.
Wir waren wie betäubt. Die riesigen Pflastersteine des Platzes selbst waren bei dem anderthalb Meter tiefen Fall zerbrochen. Der Brunnen-Obelisk neigte sich in einem Winkel von dreißig Grad, und der Brunnen selbst hatte ein für alle Mal aufgehört zu plätschern. Die gesamte Stadt war in einer Staubwolke ve r schwunden, die sich erst nach mehr als sechs Stunden vollstä n dig auflöste. Als Helena und ich uns aufrappelten, uns den Staub von den Kleidern klopften und hustend Nase und Hals von dem schrecklichen weißen Pulver zu befreien versuchten, rannten einige bereits davon – irgendwohin, in reiner Panik, jetzt, wo es zu spät war, um zu rennen –, während ein paar s o gar begonnen hatten, in den Ruinen und dem Schutt zu graben, um andere zu finden und ihnen zu helfen.
Über fünftausend Menschen starben beim Fall der Stadt. Die meisten waren in den größeren Gebäuden gefangen gewesen – sowohl der Athene-Tempel als auch der Apollo-Tempel waren eingestürzt, ihre vielen Säulen waren geborsten und zersplittert wie gebrochene Zweige. Der Palast von Paris, jetzt Priamos ’ Heim, war ein Trümmerfeld. Außer Hypsipyle, die immer noch auf der Jagd nach mir war, überlebte niemand auf der Au s sichtsterrasse beim Athene-Tempel, als die dortige Mauer ei n stürzte. Viele der Menschen waren auf den großen Brustwehren im Westen und Südwesten gewesen, die nicht in ihrer Gesam t heit zusammenbrachen, jedoch vielerorts nach außen oder nach innen stürzten und Körper nach draußen auf die steinige Ebene des Skamandros oder auf den Schutt in der Stadt schleuderten. König Priamos gehörte zu denen, die auf diese Weise starben, ebenso wie mehrere andere Angehörige der Königsfamilie, d a runter auch die vom Unglück verfolgte Kassandra. Androm a che – Hektors Gattin
Weitere Kostenlose Bücher