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Olympos

Titel: Olympos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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mehrere hunderttausend einzelne Sterne zu sehen, und sie alle bewegten sich miteinander und zogen in zwei hellen Ringen über uns hinweg, wobei sie mühelos alles um uns herum erhellten und uns eine Art abendliches Halblicht schenkten, jene Art Halblicht, bei der man, wie ich mir immer eingebildet hatte, in Anchorage, Alaska, um Mitternacht Sof t ball spielte. Es war vielleicht der schönste Anblick meiner ga n zen zwei Leben.
    »Sohn des Duane«, rief Hektor, »was sind das für Sterne? Sind das Götter? Neue Sterne? Was hat es mit ihnen auf sich?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich.
    In diesem Moment, während sich mehr als hundertfünfzi g tausend Männer in Rüstung den Hals verrenkten und mit off e nem Mund und voller Furcht zum erstaunlichen neuen Nach t himmel dieser anderen Erde emporstarrten, brachen Männer im westlichsten Teil der Menge in ein Geschrei aus, das etwas a n derem galt. Es dauerte mehrere Minuten, bis wir erkannten, dass dort etwas vor sich ging, und dann brauchten diejenigen von uns, die an Hektors Besprechung teilnahmen, weitere M i nuten, um sich nach Westen auf eine felsige Anhöhe zu beg e ben – vor Jahrtausenden, zu Iliums Zeiten, vielleicht der Rand des ursprünglichen Strandes – und nachzusehen, was der Grund für das nicht verstummende Geschrei der Achäer war.
    Zum ersten Mal fiel mir auf, dass die vielen hundert ve r brannten schwarzen Schiffe noch da waren; sie waren mit uns durchs Bran-Loch gekommen. Die verkohlten Wracks lagen nun jedoch nicht mehr in der Nähe des Wassers, sondern waren für immer auf den gestrüppreichen Hügeln hier oben gestra n det, hoch über der alluvialen Marsch im Westen – und dann sah ich, was der Grund für das Geschrei der Männer war.
    Etwas Schwarzes und Tintenartiges, was jedoch das rotiere n de Sternenlicht über uns reflektierte, kroch von Westen über den Boden des fehlenden Meeres heran, etwas kam auf dem Grund des trockenen Beckens lautlos auf uns zu, etwas floss und glitt mit der subtilen, langsamen, aber sicheren Gewissheit des Todes ostwärts. Vor unseren Augen füllte es die am tiefsten gelegenen Stellen, legte sich dann um die bewaldeten Hüge l kuppen in der Ferne, in der Nähe des Horizonts – im Licht der neuen Ringe über uns waren sie mühelos zu erkennen –, und binnen Minuten waren diese Hügelkuppen von der dunklen Bewegung umschlossen, bis sie aufhörten, Hügelkuppen zu sein, und wieder zu den Inseln Lemnos, Tenedos und Imbros wurden.
    Dies war das dritte seltsame Wunder dieses scheinbar endl o sen Tages.
    Das weindunkle Meer kehrte zu den Ufern Iliums zurück.
     

86
    Harman hielt sich die Pistole nur ein paar Sekunden lang an die Schläfe. Noch während sein Finger den Abzug der Waffe b e rührte, wusste er, dass er die Dinge nicht auf diese Weise bee n den würde. Es war der Ausweg eines Feiglings, und auch wenn er in diesem Moment angesichts seines unmittelbar bevorst e henden Todes große Angst verspürte, wollte er nicht als Fei g ling gehen.
    Er drehte sich um, richtete die Waffe auf den massigen Bug des alten U-Boots, der aus der Nordwand des Bruchs ragte, und drückte auf den Abzug, bis die Waffe neun Schüsse später zu feuern aufhörte. Seine Hand zitterte so heftig, dass er nicht einmal wusste, ob er das riesige Ziel getroffen hatte, aber der Akt des Schießens konzentrierte und exorzierte einen Teil se i nes Zorns und Abscheus über die Torheit seiner eigenen Ga t tung.
    Harman schälte sich langsam aus der schmutzigen Therm o haut. Er dachte nicht einmal daran, sie zu waschen, sondern warf sie einfach beiseite. Obwohl er von den Nachwirkungen des Erbrechens und des Durchfalls zitterte, kam er überhaupt nicht auf die Idee, seine Überkleidung oder seine Stiefel anz u ziehen. Er stand auf, fand sein Gleichgewicht und machte sich auf den Weg nach Westen.
    Harman konnte darauf verzichten, seine neuen biometrischen Funktionen zu befragen; er wusste auch so, dass sich sein Leben rasch dem Ende näherte. Er spürte die Strahlung in seinem Bauch, seinen Gedärmen, Testikeln und Knochen. Die finale Schwäche wuchs in ihm wie ein ekelhafter Homunkulus, der sich in seinem Innern regte. Deshalb ging er nach Westen, dor t hin, wo Ada und Ardis waren.
    Mehrere Stunden lang herrschte eine wunderbare Ruhe in seinem Bewusstsein. Es nahm seine Umwelt nur wahr, um ihn davor zu bewahren, auf etwas Spitzes zu treten, oder ihm den richtigen Weg durch Erhebungen aus Korallen oder Gestein zu zeigen. Er war sich undeutlich

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