Olympos
hinaus hätte Theano der plötzlich verstummenden Menge dann sicher klar gemacht, dass die Griechen nicht fast zehn Jahre lang gekämpft hatten – manchmal ebenso gut wie so l che Helden wie Hektor, manchmal sogar besser als sie –, um sich nun ungeübtem weiblichem Pöbel zu beugen. Wenn ihr nicht heimlich gelernt habt, wie man Pferde bändigt, mit Streitwagen umgeht, Lanzen mehrere Stadien weit wirft und mit dem Schild heftige Schwerthiebe abwehrt, und wenn ihr nicht bereit seid, Männern die schreienden Köpfe von den krä f tigen Körpern zu trennen, dann geht nach Hause – all dies hätte Theano gesagt, da war Helena sicher –, tauscht eure geborgten Lanzen gegen Spi n deln ein und überlasst es euren Männern, uns zu beschützen und ihren Männerkrieg zu entscheiden. Und die Menge hätte sich ze r streut.
Aber Theano war nicht hier. Theano war – mit Helenas einfüh l samen Worten – so tot wie Paris ’ Schwanz.
Also zogen nun Scharen halb gerüsteter Frauen in den Krieg, lenkten ihre Schritte zum Loch und begaben sich in der Gewis s heit zu den Ausläufern des Olymps, dass sie Achilles e r schlagen würden, noch bevor die Amazone Penthesilea aus ihrem Schö n heitsschlaf erwachte. Hippodameia eilte verspätet durchs skäische Tor hinaus; ihre geliehene Rüstung saß schief – sie schien noch aus einer früheren Zeit zu stammen, der Zeit des Krieges gegen die Kentauren –, der Bronzeharnisch war schlecht befestigt, er klapperte und schlug gegen ihren großen Busen. Die Aufhetzerin hatte die Kontrolle über ihre Massen verloren. Wie alle Politiker beeilte sie sich – vergeblich –, um sich an die Spitze des Zuges zu setzen.
Helena, Andromache und Kassandra – die Mördersklavin Hypsipyle behielt die rotäugige Prophetin bereits im Auge – ha t ten sich zum Abschied geküsst, und Helena war ihrer Wege g e gangen. Sie wusste, dass Priamos den Termin ihrer Vermä h lung mit dem dicken Deiphobos noch vor dem Ende dieses Tages fes t legen wollte.
Doch auf dem Rückweg zu dem Palast, den sie gemeinsam mit Paris bewohnt hatte, löste sich Helena aus der Menge und betrat den Athene-Tempel. Er war natürlich leer – in diesen Tagen bet e ten nur noch wenige offen die Göttin an, die angeblich Astyanax getötet und die Welt der Sterblichen in einen Krieg mit den Olympiern gestürzt hatte –, und Helena hielt inne, um in den dunklen, nach Weihrauch riechenden Raum hineinzug e hen, die Ruhe einzuatmen und zu der riesigen, goldenen Statue der Göttin aufzublicken.
»Helena.«
Einen Moment lang war Helena von Troja sicher, dass die Göttin mit der Stimme ihres früheren Gemahls gesprochen ha t te. Dann drehte sie sich langsam um.
»Helena.«
Menelaos war dort, keine drei Meter von ihr entfernt, die Be i ne leicht gespreizt, die Sandalen fest auf den dunklen Ma r morboden gesetzt. Selbst im flackernden Licht der Votivkerzen konnte Hel e na seinen roten Bart, seine finstere Miene, das Schwert in seiner rechten Hand und eine mit Eberzähnen b e setzte Kappe sehen, die er locker in der linken Hand hielt.
»Helena.«
Es schien, als wäre dies alles, was der gehörnte König und Kri e ger nun, da sein Moment der Rache gekommen war, herausbrac h te.
Helena überlegte, ob sie weglaufen sollte, wusste aber, dass es nichts nützen würde. Sie würde niemals an Menelaos vorbei auf die Straße gelangen, und ihr Gatte war schon immer einer der schnellsten Läufer in ganz Lakedämonien gewesen. Sie hatten stets gescherzt, ihr künftiger Sohn werde so schnell sein, dass ke i ner von ihnen ihn fangen konnte, um ihm den Hintern zu verso h len. Sie hatten nie einen Sohn gehabt.
»Helena.«
Helena hatte geglaubt, bereits jede Art männlichen Stöhnens g e hört zu haben – vom Orgasmus bis zum Tod und alles dazw i schen –, aber noch nie hatte sie bei einem Mann eine solche Kap i tulation vor dem Schmerz gehört. Und schon gar nicht schluc h zend hervorgestoßen in drei vertrauten, aber völlig fremdartigen Silben wie diesen.
»Helena.«
Menelaos kam mit schnellen Schritten auf sie zu und erhob sein Schwert.
Helena machte keine Anstalten wegzulaufen. Im Schein der Kerzen und dem Glanz der goldenen Göttin sank sie auf die Knie und schaute zu ihrem rechtmäßigen Gatten auf. Dann senkte sie den Blick, zog ihr Gewand herunter, entblößte die Brüste und wartete auf die Klinge.
13
»Um Ihre letzte Frage zu beantworten«, sagte Hauptintegrator Asteague/Che, »wir müssen zur Erde, weil sich das Zentrum all
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