Oma 04 - Omas Erdbeerparadies
Tempo-30-Straße kuschelten sich niedrige Reetdachhäuser mit steilen Giebeln, auf denen stolz die Baujahre aus den letzten drei Jahrhunderten angebracht waren.
Sie konnte es kaum abwarten, gleich war sie da!
Als sie auf das Erdbeerparadies zufuhr, stutzte sie. Hier schien heute Abend ein Riesenevent stattzufinden. An jeder zweiten Straßenlaterne waren die Sturmflut-Wölfe angekündigt, die heute dort spielen sollten. Super, dann rasselte sie ja mitten in ein Riesenkonzert, das war genau das Richtige nach der langen Fahrt!
Jede Müdigkeit war sofort verschwunden. Jetzt fiel ihr ein, wann sie das erste Mal im Erdbeerparadies gewesen war. Ein Insulanerjunge namens Momme hatte sie hier zur Disco eingeladen, da war sie fünfzehn gewesen. Bei dem Gedanken an Momme musste sie lächeln. Es war in der Zeit, als sie noch als Grufti herumgelaufen war und die abgeklärte Großstadtgöre gegeben hatte: Die Musik im Erdbeerparadies fand sie uncool, die ultraaltmodische Holzeinrichtung war akut von Holzwürmern bedroht, die Leute gingen gar nicht. Der arme Momme hatte es nicht leicht gehabt mit ihr, dabei war er so ein Netter gewesen. Sie hatte ihn sehr gemocht – wenn sie ehrlich war, mehr als das –, und trotzdem hatten sie sich bald nach ihrem ersten Föhr-Besuch aus den Augen verloren.
Die schwarze Wolkenwand verschlang plötzlich das gesamte Abendlicht, es wurde fast schlagartig dunkel. Hätte sie Arne Bescheid geben sollen? Nein, so war die Überraschung noch schöner! Der Motor des Käfers röhrte immer lauter, sie musste ihn unbedingt einstellen lassen. Plötzlich gab es einen lauten Knall, und schwarzer Rauch stieg aus dem Auspuff.
«Mist, was ist das denn?», fluchte sie.
Sie ließ den Wagen gegenüber dem prächtigen hölzernen Gerätehaus der Boldixumer Feuerwehr ausrollen. Ein paarmal drehte sie noch den Schlüssel hin und her – keine Reaktion. Als wenn das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, prasselten jetzt dicke, harte Körner wie Gewehrkugeln auf das Blechdach ihres lahmgelegten Autos, grelle Blitze zuckten über den Himmel. Unter dem Handschuhfach leckten ein paar Tropfen in den Fußraum, im Wageninneren roch es sofort nach altem, feuchtem Kunststoff.
Das konnte ja wohl nicht wahr sein!
Ungefähr hundert Meter entfernt, leuchteten ihr durch den Regen zwei riesige rote Erdbeeren auf einem grünen Schild entgegen. Sie wollte nicht warten. Also zog sie eine Jacke aus ihrem Koffer, riss die Tür auf und rannte los. Die Jacke nützte ihr gar nichts, die Tropfen peitschten gleichzeitig von allen Seiten auf sie ein. Innerhalb von Sekunden wurde sie nass bis auf die Haut und begann erbärmlich zu frieren.
Egal, weiter!
Die Rettung lag jetzt vor ihr, in Form eines beleuchteten Schildes: Erdbeerparadies!
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6.
Geliebte Höhlenmenschen
Jade stürmte durch den Vorraum mit dem kleinen, einsamen Tisch, an dem der Eintritt kassiert wurde. Die Kasse stand offen da, niemand war zu sehen. Von drinnen drang eine Art deutscher Rockmusik, mit der sie normalerweise nichts anfangen konnte.
«… und das Schiff mit sieben Segeln und jeder Menge Rum an Bord, das brachte nichts zustande, aber Kuddl fort …»
Egal, was für Musik es war, unter einem wasserdichten Dach hätte sich sogar Staubsaugen wunderbar angehört! Sie betrat den Tanzsaal. Anders, als sie es von der Plakatdichte auf den Straßen erwartet hätte, herrschte hier gähnende Leere. Höchstens zwanzig Gäste bewegten sich auf der Tanzfläche und sangen mit, sie kannten offenbar jede Zeile.
«… und Kuddl, was macht der? Baut jede Menge Scheiß, dem wurd es selbst in Grönland zu heiß.»
Auf der beleuchteten kleinen Bühne standen ein paar ältere Herren und bedienten lässig ihre E-Gitarren. Durch die Fenster an der Wand hinter ihnen konnte man auf den prasselnden Regen hinausschauen, auf den Fensterbänken standen wildwuchernde Zimmerpflanzen, an der Wand hing ein alter Schrank. Nicht gerade das, was man sonst so als Bühnendekoration vorfand. Der Bassgitarrist war mindestens zwei Meter groß und trug ein ärmelloses T-Shirt, das seinen mächtigen Bizeps freilegte, die anderen waren Altfreaks mit graumelierten langen Haaren. Die paar Leute im Raum grölten nun den Refrain: «Aloha heee hee, aloha …!»
Direkt neben der Bühne befand sich die Tür zur Damentoilette, die von einem gelben Spot angestrahlt wurde, sodass jede Frau für Sekunden unfreiwillig zum Star wurde, wenn sie vom Klo kam. Plötzlich entdeckte sie
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