Oma 04 - Omas Erdbeerparadies
ist das?», fragte er erschrocken.
«Das sind die Einnahmen von heute Abend. Ungefähr tausendsiebenhundert Euro, dazu kommt noch das Hartgeld. Allerdings wollte ich Momme zweihundertfünfzig zahlen. Ich hoffe, das ist okay für dich.»
Arne starrte sie entgeistert an.
«Willst du mich vorführen, oder was ist dein Plan?» Und nach einer Pause: «Susanne wird ausrasten.»
«Welche Susanne?»
«Die Tante von Momme, ihr gehört das Island Palace.»
«Und?»
«Hier auf Föhr läuft das alles ein bisschen anders als auf dem Festland. Man muss sich absprechen.»
«Diese Scheine hier wären sonst in Susannes Tasche gelandet», hielt sie dagegen und musste plötzlich grinsen. «Im Palace war heute mit Sicherheit Totentanz.»
Er rieb sich nachdenklich das Kinn. «Sie wird nicht gewusst haben, dass ihr Neffe hier aufgelegt hat. Was meinst du, was der sich jetzt anhören muss?»
Sie zuckte mit den Achseln.
«Ich habe ihn nicht gezwungen.»
Arne nickte.
«Das hat er wahrscheinlich nur getan, weil er scharf auf dich ist, stimmt’s?»
In dem Moment kam Oma um die Ecke gefahren.
«Wieso hast du mich nicht angerufen?», brüllte Arne seine Mutter an. Die Frage war natürlich unsinnig, denn bekanntermaßen konnte sie nicht sprechen. Verwirrt nahm er das Geld und verschwand oben in der Wohnung.
Eine Stunde später war die Party endgültig vorbei. Jade schaltete das grelle Saallicht an, und Momme packte hastig seine Anlage ein.
«Ich würde gerne noch einen Absacker mit dir trinken», sagte sie, als er sich verabschieden wollte. «Aber ich habe echt noch viel zu tun.»
«Ist in Ordnung. Das holen wir nach, ja?», sagte er und lächelte sie so warm an, dass ihr ganz anders wurde.
Sie nahm seine Hand und küsste ihn auf die Wange.
«Danke für alles. Hier ist dein Geld.»
Momme nahm die Scheine und verschwand in der Dunkelheit.
Nachdem auch Svantje, die ihr bis zum Schluss beim Aufräumen geholfen hatte, fort war, wankte Jade hundemüde ins Schlafzimmer. Oma schlief bereits tief und fest. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, träumte sie schön. Jade zog sich ihr Nachthemd über und wollte sich gerade auf die Couch legen, als sie auf dem Kopfkissen ein kleines Buch entdeckte. Ihre Oma musste es dort vergessen haben. Jade legte es auf den Nachttisch, streckte sich auf der Couch aus und schloss die Augen, doch an Einschlafen war nicht zu denken.
Hatte sie alles richtig gemacht? Die Party ohne Absprache mit Arne zu veranstalten, war sicherlich nicht ganz in Ordnung gewesen. Andererseits standen hier dreihundert Schüler, die nicht nur Eintritt gezahlt, sondern auch kräftig konsumiert hatten, gegen zehn zahlende Gäste bei den Sturmflut-Wölfen. Sollte er ihr nicht dankbar sein? In Gedanken ließ sie immer wieder die Bilder des Abends Revue passieren: Oma an der Schaummaschine, die grölenden Teenager, Momme am Mischpult …
Es hatte keinen Zweck. Sie konnte einfach nicht einschlafen. Also knipste sie die Nachttischlampe an, nahm Omas Büchlein zur Hand und ging damit in die Küche. Sie machte es sich auf einem Stuhl bequem und schlug neugierig die erste Seite auf: «Imke, 1954» stand dort mit Bleistift geschrieben. Das war ein Tagebuch!
Gerade wollte Jade es zuklappen, als sie eine halb aus dem Buch herausragende Notiz entdeckte: LIEBE JADE, LIES DAS GERNE MAL! DEINE OMA IMKE stand dort in krakeligen Buchstaben.
Also begann Jade zu lesen.
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13.
Das Wunder von Boldixum
Landeshauptstadt Kiel, 5. Juli 1954
Jetzt bin ich schon bald zwanzig und habe außer Amrum und Flensburg noch nicht viel gesehen von der Welt. Selbst auf Sylt war ich nur einmal ganz kurz. Insofern gibt es etwas zu feiern, denn ich bin das erste Mal weit weg von Föhr.
Zusammen mit Telse sitze ich in der Garderobe der Kieler Ostseehalle und nähe wie eine Wilde an unseren Trachten herum.
Kiel ist eine echte Großstadt, vor jedem dritten Haus steht ein Auto, ganz anders als bei uns in der Provinz. Aber ich war auch entsetzt, als wir vom Hauptbahnhof zur Jugendherberge am Ostufer gelaufen sind. An vielen Stellen liegen noch Trümmerberge herum, ganze Stadtteile müssen neu aufgebaut werden. Wie gut hatten wir es auf Föhr – weit weg von diesem verdammten Krieg!
An die Ostsee muss ich mich noch gewöhnen: Ein Meer, das immer da ist und nie zwischendurch weggeht, macht mich ganz kribbelig. Die haben hier immer Flut, das kommt mir fast bedrohlich vor!
Typisch ist wieder, dass Telse und ich die Einzigen sind, die hier am
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