Oma 04 - Omas Erdbeerparadies
komme.»
Jetzt gab es kein Zurück mehr. Wie unter Narkose taumelte Arne mit seinem umgeschnallten E-Bass nach unten, um die Jungs im Vorraum zu treffen. Malte, der Sänger, hatte sich zur Feier des Tages seinen Pferdeschwanz abschneiden lassen. Jan, der Gitarrist, sah mit seiner olivfarbenen Baseballkappe aus wie immer. Drummer Ralle hatte sich die Augen mit Kajal geschminkt.
«Alle für einen!», rief Arne.
«Einer für alle!», kam es als Echo zurück.
Er spürte, dass auch den anderen der Hintern auf Grundeis ging wie seit Jahren nicht mehr, Jan sogar im wörtlichen Sinn, er musste noch zweimal auf die Toilette.
Die Sturmflut-Wölfe waren als Erste dran. Vor so vielen Leuten hatten sie noch nie gespielt, vor laufenden Kameras erst recht nicht. Jetzt wurde es ernst. Sie sahen einander noch mal in die Augen, dann gaben sie sich einen Ruck und gingen hinaus.
Der Saal war übervoll, die Luft zum Schneiden. Alle Tische waren weggeräumt, die Leute standen. Von ganz hinten mussten sie sich durch die Menge auf die Hauptbühne vorkämpfen.
Riesengejohle und Pfiffe.
Jade setzte die bunte Discokugel in Bewegung und ließ die Scheinwerfer aufflackern. Arne und seine Jungs kletterten auf die Bühne. Ralle setzte sich ans Schlagzeug, Jan und Arne stöpselten ihre Gitarren in die Anlage und stimmten die Instrumente nach. Keiner lächelte, sie waren angespannt wie Piloten beim Landeanflug.
Jade moderierte die Veranstaltung mit einem tragbaren Mikro auf der Vorbühne. Sie hatte das schwarze T-Shirt von Landwirt Hauke mit dem Perlen-Totenkopf an und dampfte vor Energie.
«Moin, Moin!», rief sie laut in den Saal.
Riesenbeifall und Gejohle.
«So muss das bei den Beatles gewesen sein», sagte Arne.
«Yeah, yeah, yeah!», rief Malte.
Jetzt brachten sie doch noch ein Grinsen hervor.
Arne entdeckte seine Mutter, die ein Schild hochhob: FANCLUB ARNE – GO FOR IT! Dass sie sich als Mitglied der Jury eher neutral verhalten sollte, war ihr nun vollkommen egal. Das machte ihm Mut.
Jade erhöhte weiter den Druck.
«Alt gegen Jung – wir wollen es wissen! Die Alten fangen an, sie müssen ja auch früher ins Bett.»
Für den frechen Spruch gab es erwartungsgemäß frenetischen Beifall wie wütende Pfiffe.
«Wie auch immer, wir starten jeeeeeeeeetzt! Die Sturmflut-Wölfeeeeee!»
Die Jungs hauten rein wie die Irren. Es war ihr ultraschnelles, lautes Heavy-Metal-Stück, das Barni selbst geschrieben hatte und mit dem sie vor vielen Jahren mal die Charts stürmen wollten: «We are Frisiaaaaan Dynaaaaamiiiiiite».
Das Erdbeerparadies mutierte zum Hexenkessel, die Leute tobten und klatschten ununterbrochen. Arne spürte, wie er abhob. Er war so jung, wie er sich fühlte, und das war in diesem Moment sehr jung!
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26.
Wattenmeer in Farbe
Jade kam aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Die Alt/Jung-Party war auch nach Wochen noch in aller Munde! Nach Arne und seinen Jungs waren zwei Schülerbands aufgetreten und eine Ärzteband von der Inselklinik, die Country & Western spielte. Plötzlich hatten die Sturmflut-Wölfe mit umgeschnallten Gitarren wie Piraten die Bühne geentert und bei den Jungen mitgemacht, und zum Schluss hatten alle zusammen ein wildes Chaos aus Rap, Rock und Western gespielt. Die Jury sah sich außerstande, eine Wertung abzugeben.
Seit diesem Event war das Erdbeerparadies jeden Abend voll. Irgendwie spürten alle, dass hier wieder etwas passierte. Die Umsätze waren so gut, dass Arne Jade ein kleines Gehalt auszahlen konnte. Und noch wichtiger: Er hatte sich mit seinen Freunden wieder versöhnt.
Es war drei Uhr nachts, nach der üblichen Freitagsdisco. Jade stellte die Gläser und Tische zusammen. Arne hatte Rückenschmerzen gehabt, und sie hatte darauf bestanden, dass er sich hinlegte.
Als sie fertig mit Aufräumen war, ging sie hoch in die Wohnung. Das Alpenpanorama mit dem St.-Pauli-Aufkleber hing immer noch im Treppenhaus, inzwischen gehörte es auch für sie hierher. Sie schlich in Omas und ihr gemeinsames Zimmer. Imke schlief tief und fest und sah dabei aus wie ein Kind. Das Jimi-Hendrix-Poster hatte Jade entfernt und stattdessen sämtliche Wände mit alten Fotos vom Erdbeerparadies zugepflastert. Wohin sie auch schaute, blickte sie auf Oma als Rock-’n’-Roll-Tänzerin und andere Verwandte von sich. Heute Nacht bekam sie allerdings das ungute Gefühl, dass ihre Ahnen noch am Leben waren und sie misstrauisch beäugten. Sie legte sich auf das wabbelige Wasserbett, war aber
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