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Oma dreht auf

Oma dreht auf

Titel: Oma dreht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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sich die Hallig Langeneß lang vor ihnen ausstreckte: «Nix vom Wattenmeer?»
    Imke schaute ihn verständnislos an: «Wenn es das Paradies gibt, ist es das Wattenmeer! Dann brauche ich kein Foto davon!»
    Eine übermütige Welle spritzte über die Bordwand, alle drei sprangen zurück. Dann setzten sie sich wieder ins Taxi. Die Fähre legte in Wittdün an, nicht gerade eine Perle architektonischer Schönheit, aber wunderbar gelegen. Immerhin wurde nach und nach alles «verhübscht», wie es Imke gerne ausdrückte, auch Wyk sah inzwischen viel schöner aus als noch vor drei, vier Jahrzehnten. Imke war froh, dass sie im Taxi gekommen waren, denn die Haltestelle für den Bus nach Norddorf war von einer dichten Traube schwerbepackter Touristen umlagert wie der Bierstand auf einem Volksfest, das hätte sie nur mit Mühe geschafft.
    Sie schloss die Augen und spürte, wie sie leicht wegdämmerte. Als sie aufwachte, parkte Ocke sein Taxi gerade hinter dem kakaobraunen Volvo mit Kieler Kennzeichen vor dem vertrauten Haus im Oode Waii, in dem Imke so viele Stunden mit Johannes zugebracht – und einen der peinlichsten Momente ihres Lebens erlebt hatte. Nach den Ereignissen auf ihrer Geburtstagsfete begegnete man sich wenigstens wieder auf Augenhöhe, was sie sehr erleichterte.
    Kaum hatten sie die Wagentüren geöffnet, kamen schon die Zwillinge angesaust. Sie hatten sich zwei Zöpfe gebunden und beide einen der erbärmlichen Seehunde in der Hand, die ihr Vater am Wyker Südstrand verkauft hatte.
    «Das ist Muck.»
    «Und das ist Muckel.»
    Zum Glück ahnten sie nicht, was für eine Demütigung diese Schmusetiere für ihre Eltern gewesen waren, sie würden es wohl auch nie erfahren. Imke und Christa hatten auf der Fähre Schokolade als Mitbringsel gekauft, wie es sich für ältere Damen gehörte. Die Mädchen führten die drei ums Haus herum in den Garten, wo Herr und Frau Bösinger im Schatten unter einem Apfelbaum saßen. Sie standen sofort auf und gaben ihren Gästen freundlich die Hand. Man merkte, dass ihnen die Ereignisse der letzten Tage in den Knochen saßen, das war vermutlich mehr an Aufregung und Peinlichkeit gewesen als in ihrem ganzen bisherigen Leben.
    «Danke, dass Sie uns helfen wollen», sagte Imke.
    Bösinger hatte nicht eine Sekunde gezögert, als Imke ihn angerufen und ihm von der Kündigung erzählt hatte.
    «Sagt mal, wollen wir uns nicht endlich duzen?», schlug Herr Bösinger vor. «Ich heiße ganz altmodisch Friedrich.»
    «Susanne», stellte sich seine Frau vor.
    «Wie wir heißen, wisst ihr ja», kürzte Imke die Vorstellungsrunde ab. Mit dem «du» war sie einverstanden, aber am liebsten hätte sie «Herr Bösinger» und «du» gesagt. Das wäre in Deutschland aber nur gegangen, wenn sie Kollegen an der Supermarktkasse gewesen wären: «Herr Bösinger, machst du mal ’nen Fehlbon?»
    Susanne brachte Apfelkuchen und Tee in einer Thermoskanne. Der Schattenplatz unter dem Baum war sehr angenehm, denn inzwischen war es noch heißer geworden, das Thermometer zeigte knapp unter 32 Grad an. Laut Wetterbericht lagen Mallorca und Föhr mit der Hitze gleichauf.
    Friedrich nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. Dann setzte er sie wieder auf und nahm das Kündigungsschreiben von Petersen in die Hand, das Ocke ihm reichte. Alle am Tisch schwiegen betreten. Von Friedrichs Einschätzung würde abhängen, ob sie ausziehen müssten oder nicht.
    «Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für euch», verkündete der Anwalt, nachdem er den Brief mehrmals gelesen hatte.
    Imke, Christa und Ocke sahen sich ängstlich an.
    «Ich will die schlechte zuerst hören», murmelte Ocke.
    «Nee, lieber die gute», widersprach Christa.
    Bösinger schaute die drei ernst an. «Wir können das Ganze hinauszögern. Aber in einem Jahr seid ihr draußen, tut mir leid.»
    Imke war schockiert: «Endgültig?»
    Friedrich verzog entschuldigend das Gesicht: «Leider. Falls Herr Petersen nicht selbst in das Haus einzieht, holen wir uns auf jeden Fall die Umzugskosten wieder.»
    Imke sandte ein stilles Stoßgebet in den Himmel. Sie ahnte, worauf das hinauslief: Wenn sie nichts tat, würde vermutlich alles so ablaufen, wie Friedrich es vorausgesagt hatte. Sie könnten noch ein Jahr bleiben, und dann wäre es vorbei mit ihrer WG . Und was würde das für ein Jahr werden, wenn man ständig den Vermieter im Nacken hatte? Allein bei der Vorstellung wurde ihr schon schwindelig. Es gab praktisch keine bezahlbaren Wohnungen für

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