Oma ihr klein Häuschen
flog sie auf. Doch Oma lächelte nur souverän: «Entschuldigen Sie, ich habe den Künstler so oft in seinem Atelier besucht, dass ich immer seinen bürgerlichen Namen benutze. Fabian Rothmann ist ein Pseudonym.»
Nach dieser Vorstellung sahen wir zu, dass wir schnell rauskamen. Vor der Tür haben wir uns dann in den Armen gelegen und Tränen gelacht. Wohlgemerkt: Auf Föhr ist Oma eine anständige Inselfriesin mit festen Gewohnheiten. Aber alles, was sich in einem solchen Leben anstaut, gleicht sie auf ihren wilden Festlandsausflügen mit mir aus. Ich spiele dabei die Gouvernante, verdrehe gespielt-entsetzt die Augen und versuche das Schlimmste zu verhindern.
Mit wenigen Menschen habe ich so viel Spaß wie mit Oma.
Die alte Frau im Schlick kommt immer noch nicht an Land, sie ist zu unsicher auf den Beinen und rutscht immer wieder aus. Nicht dass sie noch kopfüber ins Watt fällt und erstickt!
Ich gehe direkt auf sie zu: «Hallo?»
Ruckartig dreht sie sich um.
Und dann erlebe ich einen der schlimmsten Momente meines Lebens.
Eine alte Frau mit verwuselten Haaren starrt mich an, die eine Gesichtshälfte besudelt mit Schlick: Oma Imke!
Wie kann das sein? – Oma trinkt nie!
«Oma?»
«Jjjjjaaa.»
Sie versucht mich zu fixieren, was ihr, dem schiefen Blick nach, nicht gelingt.
Die Arme.
«Komm, ich helfe dir!»
Ich fasse sie unter und ziehe sie hoch, aber kaum ist sie oben, sackt sie haltlos zusammen, sodass ich auf dem schlüpfrigen Untergrund mit ihr wegrutsche. Jetzt liegen wir beide im Schlick, der warm ist wie eine Fangopackung, aber nicht gerade angenehm riecht. Meine helle Hose ist hinüber, ebenso mein Lieblingshemd. Im Film würden sie jetzt abblenden und uns am nächsten Tag zeigen. Aber das hier ist das wirkliche Leben, was bedeutet, dass ich mich aufraffen, mein Handy rausholen und sofort meine Polizistinnencousine Maria auf der Polizeistation anrufen muss. Alleine schaffe ich das nicht. Oma ist prompt auf dem Meeresboden eingeschlafen und schnarcht leise vor sich hin. Ich setze mich schützend vor sie, damit vom Strand aus niemand ihr Gesicht erkennen kann. Hin und wieder streiche ich ihr ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und kraule ihren Nacken: «Arme Oma, was ist nur passiert?»
Kurze Zeit später rollt ein Dienst-Passat im Schritttempo auf die EU-geförderte Strandpromenade. Das Blaulicht ist angeschaltet, was angesichts des Schritttempos eher absurd als dramatisch wirkt. Sofort bildet sich eine Traube aus halbnackten Urlaubern um den Wagen, und erstaunlich lange passiert erst mal gar nichts, der Polizeiwagen steht einfach da. Dann schält sich die einzige Uniformierte, die ich persönlich kenne, aus dem Wagen. Maria setzt sich beim Aussteigen umständlich die Uniformmütze auf. Wofür die bei diesem Einsatz wichtig ist, bleibt mir ein Rätsel. Sie beugt sich erneut nach innen, holt eine verspiegelte Sonnenbrille heraus und schiebt sie sich auf die Nase. Widerwillig bleibt sie einen langen Moment neben der Fahrertür stehen und sondiert mit konzentrierten, langen Blicken die Lage, als sei die komplex und unübersichtlich.
Wie ein fieser Kleinstadtbulle in einem schlechten U S-Film .
Widerwillig arbeitet sich Maria mit ihren schwarzen Dienstschuhen über den Strandsand auf mich zu. Es ist schon anstrengend, hier in Badekleidung beim Gehen eine gute Figur zu machen; in Uniform, mit schwerer Pistole und Funkgerät am Gürtel ist es komplett unmöglich. Ihr leichtfüßiger Gang verwandelt sich in schweres, watschelndes Schaukeln, bei jedem Schritt sinkt sie tief in den feinkörnigen Sand. Ob ihr bewusst ist, wie sehr sie einer Ente ähnelt? Obwohl Marias haselnussbraune Augen hinter der dunklen Sonnenbrille versteckt sind, drücken ihre heruntergezogenen Mundwinkel Verachtung gegen alles und jeden hier aus. Zwei Dutzend neugierige Touristen folgen ihr in einer Art Karnevalszug. Maria dreht sich um und brüllt sie an. Das macht sie offensichtlich sehr gut, denn prompt weichen die Leute zurück.
Dann geht sie – ohne Eile – zu mir.
Maria, komm in die Gänge, hier liegt unsere Oma!
Es ist unser zweites Treffen auf der Insel, und wieder haben wir dienstlich miteinander zu tun. Ehrlich gesagt wäre es eigentlich an der Zeit, sich mal privat zu verabreden.
Aber jetzt ist wohl der falsche Zeitpunkt dafür.
«Und?», fragt Maria ohne Begrüßung, genervt bis zum Anschlag. Ich erkenne in den Gläsern ihrer verspiegelten Sonnenbrille mein verschlicktes Gesicht.
«Oma ist
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