Oma ihr klein Häuschen
Ein Aushang am Schwarzen Brett, und die Sache läuft. Dazu kommen die ausgepowerten Redakteure und Werbefuzzis, die für eine Woche ihre Batterien auftanken wollen.»
«Die fahren doch alle nach Sylt», winkt Arne ab.
«Oder ins ‹friesische Malibu›, nach Nieblum auf Föhr», verkünde ich feierlich.
«Und wenn nicht?», keift Regina pessimistisch, «Bargeld ist sicherer, sage ich.»
«In dem Zustand kriegen wir viel zu wenig für die Hütte», behaupte ich, ohne es sicher zu wissen. «Vor einem Verkauf müsste die erst mal komplett renoviert werden.»
«Keinen Cent stecke ich in die Ruine!», erklärt Regina.
«Das musst du auch gar nicht», beruhige ich sie, «wir machen daraus ein Familienprojekt.»
Arne starrt mich an, als ob ich von einem anderen Stern komme: «Was soll das denn sein?»
«Du hast durch deine Winterjobs genug übers Reetdachdecken gelernt, und ich habe gerade sowieso etwas Zeit. Die Materialkosten teilen wir durch fünf, und bauen tun wir selbst.»
Arne hält einen Moment inne, dann explodiert er: «Kommt aus der Stadt und macht hier einen auf Chef! Und arbeiten müssen die blöden Insulaner, was?»
«Ich helfe doch mit.»
«Du willst uns nach Strich und Faden ausnutzen», zischt Regina.
Haben die verstanden, was ich eben gesagt habe?
«Nur weil du gerade zufällig Zeit hast, sollen wir unsere Jobs aufgeben und für das Haus schuften?», fragt Arne.
Ruhig bleiben, Sönke, gib dich so unbekümmert wie möglich.
«Ich mache am Tag, was ich schaffe, und ihr kommt am Feierabend dazu.»
«Hallo? Noch jemand zu Hause?», empört sich Regina, «ich habe einen Mann und einen Sohn, schon vergessen?»
«Wir reden von drei, vier Wochen, danach profitieren wir Jahrzehnte davon. Überlegt mal: Monat für Monat Cash auf die Hand.»
«Glaubst du!»
Offensichtlich drehen wir uns im Kreis, daher versuche ich es mit einer neuen Strategie.
«Wenn ich es richtig sehe, steht es momentan zwei gegen zwei: Ihr beide seid für Verkaufen, Cord und ich dagegen. Da liegt die Lösung auf der Hand …»
Arne verschränkt ungläubig die Arme vor dem Bauch: «So?»
«… Oma soll entscheiden», erkläre ich mit triumphierendem Lächeln. Im selben Moment wird mir jedoch klar, dass ich Quatsch rede. Egal wie sich Oma Imke entscheidet, sie müsste gegen zwei ihrer Kinder stimmen, und das würde sie niemals tun. Plötzlich habe ich eine Ahnung, warum sie noch nicht hier sein könnte.
«Ich sag dir mal was, Sönke», bollert Regina, «wenn du für mich und Arne stimmen würdest, stünde es jetzt drei zu eins. Dann wäre es egal, was Mama sagt.»
Arne flippt nun völlig aus: «Cord kann ich ja notfalls verstehen, der hat einfach einen Dachschaden. Aber
du
solltest dich schämen!»
«Dass wir das Geld brauchen, ist Sönke völlig egal», setzt Regina hinterher.
Ich bin fassungslos. «Ihr bekommt doch auf Dauer viel mehr raus, wenn wir das Haus renovieren!»
Arne senkt die Stimme: «Weißt du, ich habe mich echt auf diese Feier gefreut. Weil ich bis jetzt immer stolz war auf den Zusammenhalt unter den Riewerts. Aber jetzt kommst du und machst alles kaputt!»
Häh?
Soll ich das ernst nehmen?
«Es ist einfach nur schwachsinnig, ein solches Juwel unter Preis zu verkaufen», wiederhole ich.
Arne nimmt nun wortlos sein Surfbrett und nutzt den letzten Rest des ablaufenden Hochwassers, um so schnell wie möglich zum Pitschi’s zu kommen, dem Treffpunkt der Surfer am Südstrand, der gut hundert Meter entfernt liegt. Regina räumt das Geschirr zusammen und bemüht sich angestrengt, mich dabei nicht anzusehen.
Ich schnappe mir den Eastpack-Rucksack mit Omas Geschenk und verschwinde mit einem kurzen Abschiedsgruß.
Der nicht erwidert wird.
5. Lila Föhn auf Pappe
Was war das denn eben? Sind die alle übergeschnappt? Da freut man sich, im Schoß der Familie ein paar Tage lang abzuschalten und seine Sorgen zu vergessen, und dann so was.
Ich gehe auf der Promenade in Richtung Südwesten. Normalerweise würde ich über Arne lachen. Aber diesmal hat mein Surferonkel mich eindeutig zum falschen Zeitpunkt erwischt. Ich habe eben keine Freundin, der ich am Handy brühwarm weitertratschen kann, was mir Unglaubliches passiert ist, und ihr dabei
House of the Rising Sun
in der Original-Cord-Version vorsingen. Genau das würde ich nämlich jetzt tun – hätte ich eine.
Vielleicht liegt es aber auch an mir, und ich bin schon längst geisteskrank, ohne es zu merken.
Viele Indizien sprechen dafür.
Ein Jahr
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