Oma ihr klein Häuschen
Touren, trotz des Gegenwindes.
Oder gerade deswegen.
Vielleicht werde ich Sozialarbeiter für mittelalte Herren, die manisch
House of the Rising Sun
singen, tröste ich mich, oder gründe einen Oma-Suchservice. Meine vielfältige Familie bietet ja zum Glück Praktika in vielen Lebensbereichen.
13. Das perfekte Dinner
Da ich meinen Smoking dabeihabe, ziehe ich ihn auch an. Mit einem frischen weißen Hemd, das ich über die Hose fallen lasse, ohne Fliege. Cord war wirklich großzügig, kurz vorm Schlafengehen hat er mir einfach so die Schlüssel seines Wagens in die Hand gedrückt. Ich wusste gar nicht, dass er mit dem Auto auf die Insel gekommen war. Der Wagen ist eine echte Überraschung: ein klotziger, dunkelblauer Volvo-Geländewagen mit dunkel getönten Scheiben. Ich hatte vergessen, dass der Rising-Sun-singende Cord Chef eines gutgehenden Zahnlabors ist und viel Geld verdient. Neben dem Armaturenbrett klebt ein streichholzheftgroßes Foto hinter Plexiglas, auf dem seine thailändische Exfrau und ihre gemeinsame Tochter zu sehen sind. Jade musste jetzt um die vierzehn sein und sieht ausschließlich ihrer Mutter ähnlich. Cords geschiedene Frau ist Zahnärztin und hat eine Zeitlang sein Labor in Bangkok geleitet.
Das Navi bringt mich zielsicher zu Reginas kleinem Einfamilienhaus in der Rungholtstraße, gleich hinterm Wyker Postamt. Ihre Einladung zum Abendessen kam vorhin wie aus dem Nichts. Wahrscheinlich hat sie ein schlechtes Gewissen, weil sie mich am Strand so blöd angemacht hat. Aber vermutlich steckt viel mehr dahinter. Cord ist nämlichnicht eingeladen. Klar: Regina weiß, dass gegen ihn wegen des Hauses nicht anzukommen ist.
Bei mir hingegen hat sie noch Hoffnung.
Ich bin schon sehr gespannt, wie sie die Sache angeht. So plump, wie sie sich am Strand verhalten hat, habe ich sie eigentlich nicht in Erinnerung. Mit Sicherheit hat sie sich eine raffinierte Strategie ausgedacht, um mich rumzukriegen. Ich kann mich dabei entspannt zurücklehnen: Habe ich was zu verlieren?
An der Wohnungstür begrüßt mich ihr Mann mit einem Händedruck wie eine Pressluftzange: «Moin, Sönke!»
«Moin, Holger.»
Holger ist im Gegensatz zu seiner Frau dünn und zäh, seine hochliegenden Wangenknochen immer ein wenig gerötet. Zur Feier des Tages hat er sich ein rotes Jackett übergezogen, darunter trägt er ein hellblaues Hemd. Er fühlt sich sichtlich unwohl in diesem Aufzug. Wahrscheinlich hat ihm das Regina aufgedrückt. Holger arbeitet in der Stackmeisterei, die für die Betonnung von Fahrrinnen zuständig ist. Weil der Boden des Wattenmeeres durch Ebbe und Flut immer in Bewegung ist, muss der Kurs der Fähren immer wieder neu bestimmt und mit Büschen markiert werden. Als ich die Wohnung betrete, kommt Regina schon aus der Küche und wischt sich die Hände an der Schürze ab.
«Schön, dass du mal bei uns bist, Sönke.»
Küsschen links, Küsschen rechts, das ist in Nordfriesland nicht anders als in Frankreich. Obwohl es auf der Insel auch noch die gleichberechtigte Alternative mit durchgestrecktem Arm gibt.
«Ja.»
«Wann warst du das letzte Mal hier?»
«Das war nur ganz kurz, nach Opas Beerdigung.»
Eigentlich habe ich da nur einen Schlüssel an der Wohnungstür abgegeben. In diesem Moment schlurft ihr dicker Sohn John in den Flur.
«Sag Sönke guten Abend», fordert Holger ihn auf, als sei das nicht selbstverständlich, «kennst du ihn noch?»
«Moin», murmelt John unfreundlich. Er wiegt mit seinen zwölf, dreizehn Jahren bestimmt achtzig Kilo, und das bei einer Größe von etwa eins sechzig. Sein bernhardinerhafter Gesichtsausdruck erinnert jetzt schon an Bürgermeister Brodersen.
«Gib deinem Cousin die Hand.»
Er kommt mit gestrecktem Arm auf mich zu.
«Moin, John», sage ich und drücke seine schlaffe Hand.
Ich sollte wohl Interesse zeigen und ihn fragen, in welche Klasse er jetzt geht, was seine Hobbys sind oder so etwas. Doch zum Glück bleibt mir das erspart, denn John ist ein guter Junge: Er dreht sich wortlos um und trottet wieder in sein Zimmer. Mein spontanes Interesse gilt den alten Stichen, die im Flur hängen. Sie zeigen den dänische König und den Dichter Hans Christian Andersen, die beide in Wyk kurten. Wyk war 1819 das erste Seebad Schleswig-Holsteins. Irgendwie macht es mich melancholisch, wenn ich sehe, wie schön Hafen und Strandpromenade im 19. Jahrhundert ausgesehen haben.
Nachdem wir kurz im Flur stehen bleiben, ohne große Worte zu wechseln, gehen wir ins
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