Oma ihr klein Häuschen
Esszimmer mit den hochlehnigen Stühlen, die ich von der missglückten Familienfeier am Strand kenne. Ich staune nicht schlecht. Gegen dieses dunkle Holz überall haben meine konservativen Eltern eine richtige Hippiebude. Sogar die Decke ist vertäfelt, und das gesamte Zimmer ist vollgestopft mit kleinen Tischen undnutzlosen Schränkchen. So werden nicht einmal mehr Altenheime eingerichtet, dabei ist Regina nur drei Jahre älter als ich. Andererseits ist es mir generell ziemlich egal, wie Leute wohnen, Spaß haben kann man überall, auch bei Regina im altdeutschen Stil. Wenn wir bloß nicht schon wieder verloren im Raum herumstehen würden.
Um ein bisschen Stimmung in die Bude zu kriegen, zündet Regina ein paar Kerzen auf Messingleuchtern an und schaltet das Deckenlicht aus, was mich an Weihnachten erinnert.
«Mit Mama das ist ein Ding, was?», empört sich Regina. «Haut die einfach ab!»
«Da kann man nichts machen.»
«Das ist so was von typisch. Immer Flausen im Kopf, aber wenn es drauf ankommt, kann man sich nicht auf sie verlassen.»
Wie meine Mutter scheint auch Regina ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter zu haben. Bauchfrei auf der Berlinale und ähnliche Kapriolen sind mit Sicherheit nicht ihr Ding. Zugegeben, für mich geht das auch nur bei Oma. Wenn ich mir meine Mutter in so einem Aufzug vorstelle … aber da besteht ja zum Glück keine Gefahr.
«Es geht ihr auf jeden Fall gut, sagt Christa.»
«Christa redet viel, wenn der Tag lang ist.»
Christa redet viel? Meint sie dieselbe Christa wie ich?
«Meinst du, sie lügt?», erkundige ich mich besorgt.
Regina überlegt einen Moment.
«Nee, das wird schon seine Richtigkeit haben.»
Na, hoffentlich. Überzeugend klingt sie nicht.
Andererseits wirkt sie auch nicht so, als ob sie sich ernsthafte Sorgen machte.
«Wann geht es denn nu los mit dem Essen?», brummt Holger ungeduldig, «ich habe Hunger und Sönke bestimmt auch.»
Danke Holger, ich habe heute tatsächlich kaum was gegessen.
«Nur noch einen Moment», bittet Regina.
«Was denn noch?», blafft Holger.
«Bei uns ist es so, dass jede Mahlzeit unter einem bestimmten Motto steht», erklärt sie mir und strahlt ihren Mann an, der jetzt leicht genervt zur Seite schaut.
«Ach ja?», versuche ich Interesse zu heucheln.
«Heute ist es 1001 Nacht.»
Na, super, das Motto meiner letzten Party im Baucontainer, aber das kann Regina natürlich nicht ahnen.
«Ich lasse mich überraschen.»
«Zu jedem Gang gibt es ein Gedicht. Wusstest du überhaupt, dass ich Gedichte schreibe?»
Ich befürchte das Schlimmste.
«Nein.»
Plötzlich redet sie irrsinnig schnell und leiert dabei, als hätte sie Drogen genommen: «Ich-schreibe-eigentlich-nur-so-zum-Spaß-aber-meine-Freundin-Birte-hat-gesagt-ich-soll-die-Texte-unbedingt-an-einen-Verlag-schicken-und-du-musst-mir-sagen-was-du-davon-hältst-aber-ehrlich.»
«Du redest zu schnell», bemerkt Holger in demütigender Offenheit. Regina verzieht getroffen das Gesicht und wendet sich nun ausschließlich an mich: «Findest du das auch?»
«Für mich geht das in Ordnung», lüge ich.
Wenn das so weitergeht, halte ich höchstens noch eine halbe Stunde durch, bis ich schreie.
«Nu, lass Sönke sich doch erst einmal setzen», brummt Holger.
«Ja, setz dich, Sönke», bittet mich Regina, «ich schaue nach dem Essen.»
Sie eilt hinaus, während ich mich auf einen der extremunbequemen Stühle setze. Erstaunlich. Ich hätte erwartet, dass Regina sofort auf das Haus zu sprechen kommt. Stattdessen wirkt sie fast entrückt und beichtet mir von ihren künstlerischen Ambitionen? Die Riewerts sind doch immer für Überraschungen gut.
«Und? Hast du Arbeit?», erkundigt sich Holger.
«Muss ja», antworte ich.
«Wem sagst du das.»
Da kommt Regina schon wieder aus der Küche und läutet mit geheimnisvollem Lächeln eine kleine helle Glocke in ihrer Hand. Das Zeichen fürs Essen. John schlurft aus seinem Zimmer und lässt sich auf einen Stuhl am Esstisch fallen. Dann holt Holger ein Tablett mit kleinen Salatschüsseln, die ihm Regina abnimmt und auf die Plätze stellt. Danach bleibt sie stehen, räuspert sich, zieht einen kleinen roten Zettel aus ihrer Hose und setzt ihre randlose, viel zu große Brille auf. Holger nimmt eine Serviette und spielt mit seinen rissigen, hornhautverkrusteten Händen daran rum.
«Das Rauschen des Windes, das Schreien der Möwen, der Leuchtturm blinkt, wie tausend und die eine Nacht», rezitiert sie.
«Guten Hunger», bollert
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