Oma ihr klein Häuschen
seinem Hocker auf mich zu und schiebt mein schwarzes T-Shirt etwas hoch.
«Nein.»
Auch das darf Maria erfahren.
Der Arzt lächelt still in sich hinein.
«Oma ist herzkrank, oder?», meldet sich Maria, die nun aufs eigentliche Thema zurückkommen will. «Wir haben ein Herzmittel bei ihr gefunden.»
«Dazu darf ich leider nichts sagen.» Dr. Behnke legt mir die Manschette um, pumpt sie auf und hält sich das Stethoskop ans Ohr: «Hundertfünfundvierzig zu fünfundneunzig im Ruhezustand, das ist nicht gut.»
«Zufall», kontere ich. Der kann mich mal!
«Bloß, weil Sie gesund leben, müssen Sie noch lange nicht gesund sein.»
«Bin ich aber.»
«Die Riewerts haben alle ein Problem mit Bluthochdruck, und leider sind solche genetischen Dispositionen entscheidender, als man bisher angenommen hat. Da können Sie so viel nichtrauchen, wie Sie wollen. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber behalten Sie das im Auge.»
Unzählige Joggingrunden im strömenden Regen, bei denen ich den inneren Schweinehund bekämpft habe, Tonnen von Eisen, die ich gestemmt habe – alles umsonst?
«Und Sie, Frau Riewerts?»
Dr. Behnke legt nun die Manschette um Marias schlanken Arm, unterhalb des blauen Uniformhemdes. Kaum zu glauben, dass sich ihre langen, ebenmäßigen Finger im Kragen von besoffenen Randalierern festkrallen können, um sie zu Boden zu reißen. Aber auch wenn sie eher nach feinfühligem Violinenspiel aussehen – sie können, da bin ich sicher.
«Fünf Zigaretten am Tag», gibt Maria zu.
Also zehn mindestens.
Ihr gesamter Gesichtsausdruck, inklusive Nase, scheintsich gegen diese Untersuchung zu wehren. Was bei mir heimliche Schadenfreude auslöst, denn das treibt die Werte nach oben. Ich werde Maria um Längen schlagen, denn ich bin innerlich viel ausgeglichener und kann immer ohne Probleme einschlafen – falls das etwas damit zu tun hat.
Dr. Behnke lässt den Druck aus der Manschette um Marias Arm und lächelt: «Hundertdreiundzwanzig zu achtzig – perfekt.»
Wie kann ein Mensch wie Maria solche Werte haben? Plus Rauchen?
Ein Rätsel der Natur, es ist nicht zu begreifen.
Dr. Behnke setzt sich wieder an seinen Schreibtisch und lehnt sich in seinem Kippsessel nach hinten.
«Imke und ich sind seit über dreißig Jahren befreundet. Seit ich hier auf der Insel bin. Wir sind zusammen durchs Watt geritten, ich habe ihr Golf beigebracht, wir haben gemeinsam für den Motorbootführerschein gebüffelt und …»
«Oma kann Motorboot fahren?», unterbricht Maria ihn verblüfft. «Sie hat ja nicht mal einen Autoführerschein!»
«Imke ist dreimal durchgefallen und hat es dann gelassen», beruhigt uns Dr. Behnke.
Maria schlägt die Beine übereinander.
«Was wollte Oma mit einem Motorboot?», überlege ich laut. Ich kann mir sonst viel vorstellen, aber das nicht.
Dr. Behnke lächelt: «Was alle damit wollen, sinnlos durch die Gegend tuckern.»
«Da ist sie gar nicht der Typ für», wundert sich Maria und sucht meinen Beistand: «Oder?»
Es ist, als würden wir uns schon lange kennen, was auf eine Art ja auch stimmt.
«Wirklich nicht», bestätige ich.
«Sie scheinen wenig von Ihrer Großmutter zu wissen.»
«Wenn sie einen Motorbootführerschein machen wollte, hatte sie etwas damit vor», sage ich.
«Da fragen Sie Imke am besten selbst.»
«Das würden wir gerne tun», klagt Maria, «wenn wir wüssten, wo sie steckt.»
«Wie Sie wissen, unterliege ich der Schweigepflicht.»
«Besitzen
Sie
ein Motorboot?», erkundigt sich Maria.
«Ja.»
«Und haben Sie Oma mal mitgenommen?»
Nicht schlecht, Frau Hauptkommissarin.
«Ja.»
«Wohin, wenn ich fragen darf?»
«Sie dürfen nicht.»
«Mit Gepäck?»
«Das fällt ebenfalls unter die Schweigepflicht.»
«Gepäck ist doch keine Krankheit», protestiere ich.
«Doch», antwortet Dr. Behnke trocken.
«Können Sie sicher sein, dass ihr nichts passiert ist?», versucht es Maria noch einmal.
«Das kann man nie, Frau Riewerts.»
«Also, ich fasse noch einmal zusammen», sage ich, «Sie wissen, wo unsere Oma ist, wollen es uns aber nicht sagen?»
Dr. Behnke legt beide Hände flach auf den Schreibtisch.
«Nur so viel: Sie ist sicher nicht weit von hier.»
«Was heißt das? Inseln, Festland, Nordhalbkugel?»
«Wir drehen uns im Kreis. Es geht Imke gut, und nun entschuldigen Sie mich bitte.»
Vorm Haus lehnen Maria und ich uns ratlos an die Motorhaube des schwarzen Minis, der in der prallen Sonne ganz warm geworden
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