Oma ihr klein Häuschen
fünfzehnten Geburtstag geschenkt. Rungholt war in Vorzeiten eine Art friesisches Atlantis, eine ungeheuer reiche Stadt, die irgendwann im Meer verschwunden ist. Wir haben uns immer wieder ausführlich ausgemalt, wie es da wohl zugegangen war.
Barfuß und mit nassen Haaren kommt Maria aus dem winzigen Bad neben dem Schlafzimmer. Sie trägt eine weiße Hose und eine türkise Bluse und wirkt etwas zerbrechlich und gleichzeitig sehr entspannt, was ein großes Kompliment an mich ist. Was war eigentlich mit dem Wangenkuss, den sie mir gegeben hat, bevor ich zu Cord ins Haus gegangen bin?
Moment, Sönke – wie dumm bist du eigentlich?
Sobald du dich Maria näherst, geht sie doch sofort auf Distanz, das kennst du zur Genüge. Alles läuft zu ihren Bedingungen oder gar nicht. Und bitte sehr: Was muss im Leben einer Frau passiert sein, damit sie Wiking-Autos und Teddybären sammelt? Frag dich das immer wieder, Sönke, bevor dir die Phantasie durchgeht!
Jetzt setzt sie sich mit einer Flasche Rotwein und Gläsern neben mich.
«Kannst du die aufmachen?», bittet sie.
Ich öffne die Flasche und schenke uns ein. Es ist ein sauteurer, zehn Jahre alter
Médoc
, der wunderbar samtig schmeckt. Ich würde sie jetzt gerne auf die Kuschelrock-Alben ansprechen, fürchte aber, dass dann die Stimmung wieder kippt, und das will ich unter gar keinen Umständen riskieren. Dabei hätte ich nichts dagegen, mal wieder
Angie
oder
I’d love you to want me
von Lobo zu hören (obwohl die noch weit vor meiner Zeit lagen). Maria legt ihre nackten schlanken Füße auf den kleinen Tisch vor der Couch, ich lege meine seitlich daneben, obwohl das eigentlich unbequem ist.
«Wenn du zurück nach Nieblum willst, musst du nur Bescheid sagen», bietet sie an, ohne dass sie damit rechnet.
Ich ziehe meine rote Windjacke aus: «Du glaubst nicht, wie gut mir das hier tut.»
Maria lächelt zufrieden.
Sie lächelt zufrieden!
«Von Oma was Neues?», erkundige ich mich. Obwohl ich mir die Antwort auch selbst geben kann. Denn Neuigkeiten hätte ich wohl als einer der Ersten erfahren.
«Nee.»
«Arne hat gesagt, wenn sie sich bis morgen nicht gemeldet hat, fahndest du nach ihr.»
«Das glaubt der?»
«Ja.»
Maria verzieht leicht beleidigt das Gesicht.
«Das mache ich jetzt schon, ist doch klar. Ich frage alle, denen ich begegne.»
«Und keiner hat sie gesehen?»
«So klein ist die Insel auch wieder nicht. Ich kann ja nicht jeden Hof und jedes Haus durchsuchen. Aber wenn das stimmt, was Christa und Behnke erzählt haben, wird sie sich melden, da bin ich sicher.»
Maria ist also auch beruhigt. Und so, wie sie es sagt, kann ich es für den Moment glauben und entspanne mich.
«Wie bist du eigentlich wieder hier auf Föhr gelandet?», frage ich.
«Erbärmlich, oder?»
«Kommt drauf an.»
«Freiwillig war das nicht.»
«Cord meinte, du wurdest strafversetzt?»
Maria nickt.
«Was hast du angestellt?»
«Wir hatten eine Fahndung nach einem schwarzen Mercedes Kombi mit abgedunkelten Scheiben reinbekommen. Ich fahre nachts Streife mit einem Kollegen in der Nähe von Neumünster, als ich bemerke, dass genau so ein Wagen vor uns fährt. Ich sage: ‹Den schauen wir uns mal genauer an!›, und was macht der Fahrer des Wagens vor uns? Gibt Gas! Und zwar wie Hölle, das war ein AM G-Mercedes .»
«Sind das die mit über vierhundert PS?»
«Ja. Der Typ fährt wie ein Irrer über die A7 Richtung Dänemark, überholt auf dem Pannenstreifen, kommt fastins Schleudern, aber wir lassen uns nicht abschütteln. Unser 5er BMW ist schließlich auch kein Trecker. Vor der Auffahrt zur Kanalbrücke in Rendsburg passiert es, er verliert die Kontrolle, rauscht erst in die Mittelleitplanke, dann fliegt er quer über die Fahrbahn, streift einen Lkw und überschlägt sich. Der Typ hatte Glück, außer ein paar Schrammen und einem gebrochenen Daumen hat er nichts abbekommen.»
Eine typische Maria-Geschichte, würde ich sagen.
«Deswegen wird man strafversetzt?»
«Der Mann hatte den Wagen voller Pelze, die über zweihundertfünfzigtausend Euro wert waren. Der dachte, wir sind Räuber, die ihm was wollen.»
«Mit Blaulicht?»
«Das will er nicht gesehen haben. Er hat nur einen zivilen BMW wahrgenommen, der ihn abdrängen wollte.»
«Und was sagte der Richter?»
«Ich wurde freigesprochen. Aber es gab heftige Prügel von der Presse. Mein Chef meinte, ich hätte überreagiert. Deswegen wurde ich direkt in meine Heimat versetzt. Als Beamter können die das
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