Oma ihr klein Häuschen
Eltern zurück nach Hamburg fuhr, schwer verliebt und habe mich danach wochenlang in mein Zimmer verkrochen und melancholische Balladen gehört.
Und heute lebt diese Frau also davon, dass sie Besoffene in Ausnüchterungszellen schleppt, flüchtige Verbrecher im Streifenwagen jagt und sich mit Demonstranten prügelt.
«Maria hätte dich am liebsten verhaftet», geifert Cord, als er mit mir zurück in die Küche geht.
«Meinst du?»
Ich bin immer noch ganz durcheinander.
«Hast du nicht ihren Gesichtsausdruck gesehen?»
«Sie war einfach überrascht», verteidige ich meine Cousine.
«Das ist nett ausgedrückt.»
Plötzlich bin ich sehr müde und beschließe, alle weiteren Fragen auf morgen zu verschieben.
«Gibt es hier ein Bett?», frage ich.
«Nebenan», brummt Cord.
Etwas verdutzt betrachte ich den Raum neben der Küche. Hier steht ein amtliches Großeltern-Doppelbett mit dunklem Schleiflack und zwei nackten Matratzen, auf denen zwei Wolldecken liegen. Das macht es für mich zum Sterne-Hotel, auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich es finden soll, mit meinem Onkel in einem Bett die Nacht zu verbringen. Offensichtlich ist es nämlich die einzige Schlafgelegenheit hier im Haus. Ich verschwinde kurz oben im Dachgeschoss, um mir in dem blitzblanken Badezimmer mit den orangen Kacheln brav die Zähne zu putzen. Als ich wieder runterkomme, liegt Cord bereits auf der rechten Betthälfte und schläft tief und fest. Er trägt ein schwarzes T-Shirt mit einem silbernen Glitzer-Panther auf der Brust, der fauchend das Maul aufreißt. Neben dem Bett liegt eine geöffnete Packung Schlaftabletten auf dem Boden.
Lass ihn eine Nacht zur Ruhe kommen, dann fängt er sich wieder.
Keine Maklermade der Welt kann jetzt noch verhindern, dass ich schnell in einen tiefen Schlaf falle.
4. Fünfzig Arten, «Moin» zu sagen
Am Morgen wache ich ziemlich früh auf und kann blöderweise nicht mehr einschlafen. Die letzte Nacht schreit nicht gerade nach Wiederholung, es sei denn, man steht drauf, im Doppelbett neben einem erkälteten Asthmatiker zu liegen, dessen Röcheln einem permanent Todesnähe signalisiert. Cord schläft noch tief und fest. Zum Glück steht in der Küche die Kaffeemaschine, und so gehe ich nach dem Duschen mit Cords Mickymaus-Pott voller Kaffee hinaus. Die frühe Morgensonne beleuchtet den Garten wie einen Märchenpark, zwischen den beiden Apfelbäumen flattern Schmetterlinge hin und her, während sich unzählige andere Insekten in allen möglichen Formen und Tönen im hüfthohen Gras tummeln.
Nieblum ist ein altes Kapitänsdorf, in das reich gewordene Walfänger einst ihr Geld gesteckt haben, um sich ihren friesischen Traum zu erfüllen. Die reetgedeckten Dachschürzen der mächtigen Häuser ziehen sich weit hinunter wie Sturmhauben, die jede Witterung abzuhalten imstande sind. Das Mauerwerk wurde in elegantem Weiß gestrichen, jedes dieser Gebäude würde auf die erste Seite eines prachtvollen Kalenders passen.
Oma ihr klein Häuschen kommt da vielleicht nicht ganz ran.
Es liegt am Rand des Ortes, umrahmt von öden Sechziger-Jahre-Bauten, und wenn man um die Ecke lugt, sieht man nichts als Maisfelder und Nutzvieh. Die alten, roten Ziegel glühen im Morgenlicht, die Sonne arbeitet die natürliche Farbe des Reetdachs hervor, während sich das Grün der Moosflechten darauf harmonisch mit den Plastikplanen über den Löchern verbündet. Kaum zu glauben, dass ich mitbestimmen darf, was damit nun geschieht. Stolz wie ein Landlord lasse ich den Blick über meine Besitztümer schweifen, auch wenn es nur knapp dreihundert Quadratmeter sind. Keine Ahnung, was das Haus in diesem Zustand wert ist, vermutlich nicht viel. Es ist eine Todsünde, dass meine Insel-Verwandten nichts daraus gemacht haben. Das Haus könnte man doch hervorragend vermieten, es ist ein Paradies! Zugegeben, die Fenster sind fast blind, weil sie seit Jahren nicht geputzt wurden, und auch drinnen stehen einige Schönheitsreparaturen an. Für mich ist das nicht der Rede wert: Frische Tapeten an die Wände, ein paar Pötte Farbe auf die Leisten, eine neue Küche, auf das Dach neues Reet – dann ist es perfekt!
Aber jetzt ist vorerst Schluss mit dem Thema, schließlich ist der eigentliche Grund, weshalb ich hier bin, Omas Geburtstag. Ich beschließe, zu Fuß an der Küste entlang von Nieblum bis zum Wyker Südstrand zu gehen, wo das Familientreffen stattfinden soll. Für halb acht morgens ist es jetzt schon ungewöhnlich warm. Das Wattenmeer
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