Oma klopft im Kreml an
wenn Sie mir in dieser Sache helfen würden.
Da, soweit ich verstanden habe, Hotelunterkünfte knapp sind, wäre es sehr freundlich, von Ihnen, wenn Sie mir etwas anderes vorschlagen könnten. Ich würde auf jeden Fall lieber in einem Privatquartier wohnen, habe aber auf Grund meiner Unkenntnisse in der russischen Sprache bis jetzt kaum Bekanntschaften in Moskau schließen können. Für eine möglichst baldige Antwort wäre ich Ihnen sehr verbunden.»
Stewart sagte ernsthaft, daß er es nicht besser hätte machen können, und schlug vor, den Brief an den Präsidenten des Obersten Sowjet zu schicken. Sie war enttäuscht, als er ihr sagte, daß die Prawda keine reguläre Seite für Leserbriefe habe, auch keine Stellengesuche, wo sie hätte inserieren können, und keine Wohnungsanzeigen.
«Ja, aber wie machen das denn die Russen?» fragte Miss Baker fassungslos.
Stewart zuckte die Achseln.
«Sie werden wohl Freunde haben, die es wieder andern Freunden erzählen. Außerdem haben sie natürlich ihre Gewerkschaften, die alles mögliche für sie tun, ihren Mitgliedern Wohnraum verschaffen, sie in Ferien verschicken —»
«Gewerkschaften», sagte Miss Baker verachtungsvoll. «Davon habe; ich keine sehr hohe Meinung. Die machen viel Lärm um nichts. Die Leute haben viel schwerer gearbeitet und waren dabei viel glücklicher, bevor man die Gewerkschaften erfunden hat.»
Stewart versucht, ihr zu erklären, daß in den ersten Jahren des Jahrhunderts die Zivilisation vielleicht nicht ganz so kompliziert war wie jetzt, und Miss Baker, die nicht zugehört hatte, verkündete, daß sie doch einen Brief an die Prawda schreiben wolle.
Dieser Brief wurde mit derselben Geschwindigkeit und Entschlossenheit verfaßt wie der erste, und sie zeigte ihn Stewart.
Sehr geehrte Herren,
da ich überzeugt bin, daß Sie nicht nur die reichen Kapitalisten unter den ausländischen Touristen in Ihr Land ziehen wollen, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es für Touristen im Augenblick unmöglich ist, in Moskau Unterkunft zu finden, außer in den teuersten Erstklaß-Hotels.
Wenn Ihre Leser eine andere Möglichkeit vorschlagen könnten, würde das sicher viele ernsthaft Interessierte ermutigen, in die Sowjetunion zu reisen.
Wenn es außerdem die Möglichkeit gäbe, sich während des Aufenthalts durch Englischunterricht den Lebensunterhalt zu verdienen, wäre das von Vorteil für alle Beteiligten. Ich bin gern bereit, von dieser Möglichkeit, die guten Beziehungen zwischen Ihrem und meinem Land zu vertiefen, als erste Gebrauch zu machten.
(Miss) Lavinia Baker, Zimmer 427
Hotel Metropol
«Bewundernswert», sagte Stewart, der den Brief mit zuckenden Mundwinkeln durchgelesen hatte. «Dafür, daß Sie zum erstenmal mit dem Sowjetsystem umgehen, haben Sie zweifellos den richtigen Ton getroffen, Miss Baker.»
«Soll ich meine Zimmernummer angeben?»
«Das ist egal», sagte Stewart ernüchtert. «Wenn Sie überhaupt eine Antwort kriegen, wird man Sie garantiert finden.»
«Natürlich bekomme ich Antwort. Auf jeden Fall bleibe ich in Moskau, bis ich sie bekommen habe.»
«Tun Sie das nur. Sie lassen mich hoffentlich wissen, wie alles weitergeht. Wenn irgendwas erfolgt, könnte das eine gute Story für meine Zeitung werden. Passen Sie mal auf: Ich sorge dafür, daß die Briefe ankommen, und Sie versprechen mir das erste Interview, wenn Sie Antwort haben.»
Stewart dachte im Grunde nicht sehr optimistisch über Miss Bakers Chancen, und seine Ermutigung war mehr als freundliche Geste gemeint. Doch waren in Moskau schon seltsamere Dinge passiert.
«Natürlich», sagte Miss Baker bereitwillig. «Und jetzt werde ich wohl wieder in mein Zimmer gehen. Nach diesen langen Nächten mit der Delegation muß ich immer noch Schlaf nachholen. Außerdem habe ich das Gefühl, daß der plötzliche Wetterwechsel mir eine Erkältung eingebracht hat.»
7
Humphrey fragte sich allmählich, wann man in Moskau eigentlich aufwachte. Es war zehn Uhr vormittags. Er war die ganze Nacht nicht ins Bett gekommen und schien trotzdem seinem Ziel, Tante Lavinia, sein Hotelzimmer oder auch nur jemand, der Englisch sprach, zu finden, um keinen Millimeter näher. Natürlich war es etwas unglücklich, daß sein Flugzeug erst um Mitternacht gelandet war. Um diese Zeit gab es keinen regulären Bus mehr in die Stadt, und soweit Humphrey sehen konnte, gab es auch keine Taxis. Die russischen Passagiere, die zusammen mit ihm angekommen waren, entschwanden nacheinander in
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