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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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betagter Spitz. Niemand wußte, wie alt Toby war oder woher Sir Reginald ihn hatte, aber die Angestellten der Botschaft fürchteten sich vor dem Hund fast so sehr wie vor seinem Herrn. Er schnappte nach den Beinen der Sekretärinnen, er knurrte Besucher an und bellte asthmatisch, wenn Fremde in die Botschaft kamen.
    Noch mehr als durch sein bösartiges Wesen fühlte sich die Botschaft durch sein Aussehen beleidigt. Er war fett, struppig und grau. Er sah dem Hund eines Botschafters nicht im geringsten ähnlich.
    Sogar Sir Reginald schien Toby nicht sehr zu lieben. Er brüllte ihn an, wenn er bellte. Er schob ihn weg, wenn er versuchte, seine Hand zu lecken. An diesem Morgen gab er Toby einen scharfen Tritt, als er bei einem Geräusch vor der Tür knurrte. Toby jaulte, begab sich außer Reichweite und knurrte weiter, als jemand zögernd an die Tür klopfte.
    «Herein», brummte Sir Reginald, ohne von seiner Post aufzusehen. Toby begann zu bellen.
    «Herein, habe ich gesagt, und hören Sie auf, da draußen herumzumurksen», brüllte Sir Reginald.
    Nach diesem entnervenden Start begann der junge Vizekonsul den Baker-Fall zu erklären.
    «Geht mich nichts an. Geht mich überhaupt nichts an», grollte Sir Reginald. «Sache des Kanzleivorstandes, junger Mann. Sagen Sie’s ihm.»
    «Ja, Sir, das habe ich schon getan, Sir», stotterte der Vizekonsul. «Ich bin schon mehrmals beim Kanzleivorstand gewesen, Sir. Und er meinte, es komme ja zuletzt doch an Sie, und deshalb sei es besser, wenn ich Ihnen den Fall kurz schildere.»
    «Na schön», sagte Sir Reginald unfreundlich, schob seine Briefe beiseite und sah den Vizekonsul von unten durch seine buschigen Augenbrauen an, so daß er noch einschüchternder wirkte. Er bot dem Vizekonsul keinen Platz an.
    «Was soll der Unsinn? Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie mir da erzählen. All dieser Blödsinn über eine verschwundene britische Staatsangehörige und Berichte in den englischen Zeitungen und einen Artikel in der Prawda. Klingt mir alles sehr nach Übertreibung. Hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten.»
    «Wahrscheinlich, Sir. Aber wenn es Ihnen recht ist, würde ich Ihnen gern eine kurze Zusammenfassung des Falles vorlesen.»
    Der Botschafter gab weder ein Zeichen der Zustimmung noch des Protests. Er lehnte sich nur in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme und starrte den Vizekonsul an, der es für das beste hielt, fortzufahren, und seinen Bericht stolpernd vorzulesen begann.
    «Miss Lavinia Baker, die als Mmmm-Mitglied einer Delegation der Antifaschistischen Friedensliga nach Moskau gekommen ist, Alter siebzig Jahre-»
    «Siebzehn?» unterbrach Sir Reginald. «Ich weiß nicht, was Mütter sich heutzutage eigentlich denken. Man stelle sich vor, ein Kind von siebzehn Jahren allein in Moskau -»
    «Nicht siebzehn, sondern siebzig, Sir.»
    «Siebzig? Dann ist das alles Unsinn, genau wie ich gesagt habe. Was hat eine Siebzigjährige überhaupt in einer Delegation zu suchen?»
    «Tatsächlich scheinen Zweifel zu bestehen, ob Miss Baker überhaupt zu der Delegation gehörte», gab der Vizekonsul zu. «Ihr Neffe, der mehrmals bei mir war, besteht darauf, daß seine Tante als gewöhnliche Touristin nach Moskau gekommen ist.»
    «Ihr Neffe? Bringen Sie verdammt noch mal erst Ihre Fakten in die richtige Reihenfolge, ehe Sie damit zu mir gerannt kommen. Sie haben gleich, als Sie mit dieser Faselei anfingen, gesagt - und daran erinnere ich mich ganz genau -, daß der Neffe in London Krach geschlagen hat; wie kann er also gleichzeitig in Moskau auftauchen?»
    Dem Vizekonsul stand der Schweiß auf der Stirn. Sir Reginald war für seine peinliche Genauigkeit und sein unerbittliches Festhalten am Detail bekannt, und der Vizekonsul machte den mutigen Versuch, diesen Eigenheiten Rechnung zu tragen.
    «Entschuldigen Sie, Sir. Ich habe mit dem Herrn in London Miss Bakers Neffen gemeint, Mr. Herbert Napier. In Moskau aber befindet sich Mr. Napiers Sohn, Mr. Her - ich meine, Mr. Humphrey Napier.»
    «Ihr Großneffe. Na schön, wenn Sie das meinen, dann sagen Sie es auch, und machen Sie die Sache nicht noch konfuser, als sie schon ist. Und nun weiter, weiter.»
    Aber der Vizekonsul entdeckte, daß er dem nicht mehr gewachsen war. Der Bericht, den er sich in seinem Büro so klar zurechtgelegt hatte, wurde immer länger und wirrer.
    Sir Reginald brachte ihn aufs äußerste gereizt zu einem abrupten Ende.
    «Alles aufgeschrieben? Dann lassen Sie es hier. Ich werde es durchlesen und irgendwie

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