Oma packt aus
doch das konnte natürlich nicht sein. Mama stand auf, kam zu mir und schloss mich fest in die Arme. Sie roch wie gewohnt nach Patchouli. Papas schaufelgroße Hand legte sich auf meine Schulter. Er duftete nach Heimat und noch immer ein wenig nach Kuhstall, obwohl wir das Vieh schon vor vielen Jahren abgeschafft hatten.
Irene starrte auf ihren Teller.
»Italien«, flüsterte sie.
Ich horchte auf. Da war Sehnsucht in ihrer Stimme. Ganz ohne Zweifel.
»Du kannst ja mitfahren«, schlug ich vor, obwohl ich nicht sicher war, ob das eine so gute Idee war. »Vielleicht möchtest du dich nach all diesen Jahren mit … ähm … meinem Vater aussöhnen.«
Erneut tauschten meine Eltern einen Blick.
»Wir kommen mit«, sagte Papa.
Mama nickte. »Das fehlte noch, dass wir unsere einzige Tochter allein in ein Mafianest schicken.«
Das mit dem Mafianest überhörte ich, aber der Gedanke, meine Eltern bei mir zu wissen, machte mich froh.
Irene räusperte sich. »Sie wäre nicht allein. Außerdem spreche ich Italienisch.«
Aha, dachte ich. Und sie behauptete, mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben.
»Dann fahren wir eben alle zusammen«, entschied Papa und schenkte eine neue Runde ein.
Unser Telefon klingelte. Mama ging ran. Sie blieb ziemlich lange weg.
»Schöne Grüße von Jan«, sagte sie, als sie zurückkam. »Ich habe ihm alles erzählt. Er ist morgen früh hier und wird uns nach Italien fahren. Er sagt, seine Geschäftseröffnung wird sowieso erst im Dezember sein. Eine Woche kann er sich schon freinehmen.«
Ich schluckte. Mein Bruder ließ mich auch nicht im Stich.
Mannomann!
War ich froh, eine Lüttjens zu sein!
Grete schlug mit der Faust so kräftig auf den Tisch, dass die Schnapsgläser und ein paar Frikadellen hochhüpften.
»Und ihr denkt, ihr könnt so einfach verschwinden? Aber ohne mich.«
Ich glaubte, sie meinte etwas anderes. »Du willst auch mitfahren?«
»Selbstverständlich.«
»Ich auch«, meldete sich Marie mit leiser Stimme zu Wort.
»Dumm Tüch!«, rief Grete aus. »Du bist viel zu alt für so eine Reise.«
Sie vergaß, dass Marie zwei Jahre jünger als sie war. Andererseits hatte meine Großtante mit mehr körperlichen Gebrechen als ihre ältere Schwester zu tun. Aber die südliche Sonne würde ihrem Rheuma guttun.
Marie straffte sich. »Ich fahre mit und damit basta!«
Grete klappte den Mund auf und wieder zu. Vorerst hatte es ihr die Sprache verschlagen.
»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist«, gab Irene zu bedenken.
»Wieso?«, fragte Grete kalt. »Werden wir da erschossen? Das könnte dir doch in den Kram passen. Dann hast du Nele ganz für dich.« Oma hatte aber auch gar keine Vorurteile gegen Süditaliener!
Irene schüttelte den Kopf. »Unsinn. Aber es könnte sein, dass sich die Leute in Apulien von uns überfallen fühlen.«
»Die Barbaren kehren zurück«, warf Mama ein.
Grete war mit Marie noch nicht fertig. »Du bist noch nie im Ausland gewesen. Nur mal in Bayern.«
»Du etwa?«
»Und ob! Neunzehnhundertzweiundsiebzig war ich mit Neckermann an der Costa Brava. Volle zwei Wochen lang.« Ihrer Meinung nach zeichnete sie diese Pauschalreise als Globetrotterin aus. »Das Wetter war ja ganz schön, aber das Essen war grauenhaft.«
Marie runzelte besorgt die Stirn. Das Thema Essen hatte sie offensichtlich noch nicht bedacht. Wenn man sechsundachtzig Jahre lang norddeutsche Kost gewohnt war und nur mal Abstecher ins Land der Schweinshaxen und Knödel unternommen hatte, konnte das schon zum Problem werden.
»Ich war mal fast in Indien«, warf Mama ein.
Klar, dachte ich, und in deinen Hasch-Träumen auf allen fünf Kontinenten.
Papa schwieg. Der hatte in dieser Beziehung nichts zu bieten. Die Hochzeitsreise hatte ihn und Heidi nach Sylt geführt, und in Richtung Süden war er noch nicht über Hannover hinausgekommen.
Irene ließ die Reiseabenteuer meiner Familie unkommentiert. Ich nahm an, dass sie schon viel herumgekommen war. Mehr als wir alle anderen zusammen. Jan vielleicht mal ausgenommen. Der reiste ausgesprochen gern.
»Dann sollten wir jetzt über das passende Transportmittel nachdenken«, regte sie an.
»Ich steige in kein Flugzeug«, stellte Grete klar und traf damit sicherlich auch den Geschmack von Marie und Papa. »Die Dinger fallen wie Steine vom Himmel. Außerdem haben die da unten bestimmt keine Landebahn.«
Das klang, als wollten wir in den afrikanischen Busch reisen.
»Die Eisenbahn kommt auch nicht in Frage«, fuhr Grete fort.
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