Oma packt aus
treffe mich nachher mit Hans-Dieter. Möchtest du mitkommen?«
Ich schüttelte den Kopf. Die beiden hatten Besseres zu tun, als sich mit meiner miesen Stimmung zu befassen. »Ist lieb von dir, aber ich bleibe lieber hier.«
Jan gab mir einen dicken Kuss auf die Stirn und verschwand.
Um nicht vollends durchzudrehen erledigte ich in den folgenden Stunden liegen gebliebene Büroarbeit. Ich brachte die Buchhaltung auf Vordermann und bearbeitete Reservierungen für die Weihnachtsferien sowie erste Anfragen für Ostern.
»Ach, hier bist du.« Mama kam ins Büro. »Ich habe dich schon überall gesucht. Was machst du denn? Arbeitest du etwa?« Sie warf einen Blick auf den Computermonitor.
»Oh, ich verstehe. Du regelst die Angelegenheiten des Hofes, damit du guten Gewissens nach Bella Italia verduften kannst.«
»So ein Quatsch, Mama. Ich arbeite, um die Zeit bis zur Abreise herumzubringen. Außerdem war noch einiges aufzuholen.«
»Ich an deiner Stelle wüsste Besseres mit mir anzufangen. Ich würde zum Beispiel den Tag mit meinem Freund verbringen.«
»Ach, Mama.«
Sie setzte sich auf die Schreibtischkante und legte mir eine Hand auf den Arm. »Erzähl.«
Das tat ich. Am Ende war Mama genauso ratlos wie ich.
»Vielleicht sollten wir tatsächlich in München Station machen«, schlug sie vor. »Möglicherweise hat Sissi inzwischen von diesem Bonifaz erfahren, wo Paul sich aufhält und was er überhaupt dort tut. Diese Ungewissheit muss ja furchtbar für dich sein.«
»Danke, Mama. Einen Versuch ist es vielleicht wert.«
Als sie das Büro wieder verließ, war mir ein wenig leichter ums Herz.
Spät am Abend kam Jan noch einmal in mein Zimmer.
»Schläfst du schon?«
»Nein, ich kriege sowieso kein Auge zu.«
Er schlüpfte zu mir unter die Decke.
»Du stinkst wie eine ganze Kneipe«, stellte ich fest.
»Sorry, Kröte. Wir waren noch bei Otto und haben mit der alten Clique Abschied gefeiert.«
Schade, dachte ich. Wäre gern dabei gewesen. Hätte mir gutgetan, mit den anderen ein Gläschen zu heben. Oder zwei.
Jan kicherte. »Die haben mich gefeiert, als wäre ich Odysseus.«
»Der befand sich aber schon auf der Heimfahrt, und du musst erst noch los«, erwiderte ich schläfrig. Jans Nähe ließ mich endlich zur Ruhe kommen.
»Sei nicht so pingelig. Nach dem vierten Jägermeister waren die glutäugigen italienischen Jünglinge meine Sirenen, und Hans-Dieter war meine Penelope, die mich rief.« Er gähnte.
»Na super. Dann bin ich der menschenfressende, einäugige Zyklop, der dich von der Heimkehr abhalten will.«
Ein sanftes Schnarchen antwortete mir. Kurz darauf war ich ebenfalls eingeschlummert. An Jans Schulter schlief es sich prima.
Er weckte mich mit dem ersten Tageslicht.
»Auf, auf, Kröte. Wir wollen früh starten.«
Ich rieb mir die Augen. »Muss ich im Pyjama ins Auto springen, oder darf ich noch duschen und mich anziehen?«
Jan hörte mich nicht mehr. Er war bereits über den Flur in sein Zimmer gestürmt. Sicherheitshalber beeilte ich mich.
Als ich hinunter in die Küche kam, wollte Papa gerade Marie den Kassettenrekorder aus der Hand nehmen.
»Tut mir leid, der bleibt da.«
Marie gab ihn nicht her.
»Aber er funktioniert auch mit Batterie, und Heino singt so schöne Reiselieder.«
»Der war aber meistens in Mexiko oder auf Madagaskar unterwegs«, warf ich ein. Wer mit Heino aufwächst, kennt seine Songs, ob er will oder nicht.
»Zur Ponderosa ist er auch geritten«, sagte Jan, der gerade hereinkam. »Dann war er noch in Tampico, im Böhmerwald und …«
»In Athen, Honolulu, Casablanca«, half ich aus.
»Genau. Nicht zu vergessen die Sierra Nevada und den Westerwald. Jedenfalls war der nicht in Italien.«
»Oh doch«, gab Marie triumphierend zurück und drückte auf den Startknopf. Heino sang das Lied der Caprifischer. Plötzlich wurde seine Stimme ungewohnt hoch und sehr schnell, denn Marie spulte vor und ließ uns »O mia bella Napoli« hören. Heino (mit Hannelore) jaulte auf, als er erneut von Marie beschleunigt wurde.
Papa griff ein und drückte auf Stopp.
»Ist eh alles auf der falschen Seite von Italien«, murmelte ich und warf Marie einen bedauernden Blick zu.
Papa nahm den Kassettenrekorder an sich. »Im Wagen ist es sowieso zu laut. Wir würden ihn gar nicht hören.«
Marie ergab sich in ihr heinoloses Schicksal und verließ die Küche.
Papa, Jan und ich sahen uns an.
»Was glaubt ihr«, fragte Papa. »Werden wir die Damen heil nach Italien bringen oder gehen die
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