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Oma packt aus

Oma packt aus

Titel: Oma packt aus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kanitz
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Tintenfische, dicke, über dem Holzfeuer gegrillte Garnelen, Seebarsche und Goldbrassen.
    Oma und Großtante verschwanden weiterhin von Zeit zu Zeit, und ich rätselte ein bisschen vor mich hin. Als Grete sich einmal noch schnell über den Mund wischte, bekam ich eine Ahnung, was die beiden taten.
    Die drohende Anna geriet in Vergessenheit, als Flaschen mit Grappa und Limoncello die Runde machten. Ich kostete von dem Zitronenlikör. Er schmeckte wie die Sonne des Südens.
    Rüdiger, der nach dem Zwischenstopp in der Pasticceria längst wieder Hunger hatte, stupste mich an.
    Hallo, ich bin auch noch da.
    Okay, mein treuer Beschützer.
    Unauffällig ließ ich ein paar Teilchen aus Blätterteig und Creme unter den Tisch fallen.
    Nicht unauffällig genug.
    Ein paar Kinder, die Rüdiger nicht aus den Augen gelassen hatten, stießen sich jetzt die Ellenbogen in die Seite. Bevor ich es verhindern konnte, verschwand eine große Glasschale mit Panna cotta vom Tisch.
    Die Schale fraß Rüdiger nicht mit. Kluger Hund.
    Im Übrigen wich er nicht von meiner Seite. Marcello stand irgendwann auf und gesellte sich zu Irene. Die beiden vertieften sich in ein angeregtes Gespräch.
    Das gab mir Gelegenheit, Oma Grete über den Tisch hinweg anzufunkeln. »Ihr habt euch von zu Hause Essen mitgenommen«, behauptete ich.
    Keine Sekunde lang dachten sie daran, es zu leugnen. Ein schlechtes Gewissen hatte sie auch nicht.
    »Selbstverständlich. Wir sind alt und brauchen unsere gewohnte Kost. An der Costa Brava habe ich mir den Magen verdorben. So etwas passiert mir nicht noch mal.«
    Womit die Frage nach den vielen Päckchen im Kleinbus geklärt war.
    »Aber das gehört sich nicht.«
    »Wieso?«, fragte Grete drohend.
    »Es verstößt gegen die Regeln der Gastfreundschaft. Du wärst auch beleidigt, wenn ein Besucher deinen Steckrübeneintopf ablehnen würde.«
    »Das ist was anderes.«
    Langsam machte sie mich wütend. »Ist es nicht, und du bist unhöflich.«
    Grete durchbohrte mich mit ihren Blicken. »Noch ein Ton, und du kannst deine Knochen einzeln aufsammeln.«
    Wow! Zur Vorbereitung auf die Reise hatte sie sich offenbar eine Nacht lang Mafiafilme angeschaut.
    Marie hingegen wurde nun von ihrem schlechten Gewissen geplagt. Sie kämpfte mit sich, probierte dann aber ein kleines Stück geröstetes Weißbrot. Die Überraschung auf ihrem Gesicht, weil es richtig gut schmeckte, war wunderschön.
    Ich lächelte ihr zu, sie lächelte zurück.
    Grete brütete wütend vor sich hin.
    Auf Marcellos Stuhl saß plötzlich ein etwa siebzehnjähriges Mädchen, das mich aufmerksam musterte.
    »Du hast meine Augen«, sagte sie in fließendem Deutsch zu mir.
    Okay, so herum konnte man es auch sehen.
    Davon abgesehen war sie hundertmal schöner als ich in ihrem Alter. Langbeinig, wohlproportioniert und mit den Gesichtszügen einer Madonna. Ich stellte mir ihre Wirkung auf die Jungs in Nordergellersen vor und musste grinsen. Die Nachfahren der Wikinger würden sich gegenseitig die Köpfe einschlagen.
    Rüdiger beschloss, dass von ihr keine Gefahr drohte, und legte seinen Kalbskopf in ihren Schoß. Sie kraulte ihn hinter den Ohren. Dort, wo er es am liebsten hatte.
    »Woher kannst du Deutsch?«, fragte ich neugierig. Es war mir schon aufgefallen, dass ein Großteil der Familie meine Muttersprache beherrschte.
    Das Mädchen winkte lässig ab. »Das sprechen wir fast alle. Viele Verwandte arbeiten in Deutschland, und wir Kinder verbringen die Sommerferien in Frankfurt, München oder Stuttgart. Der Padrone sagt, Fremdsprachen öffnen uns die Tür zur Welt.«
    Ziemlich plietsch, dieser Padrone.
    »Ich heiße Margherita«, sagte sie.
    »Was für ein hübscher Name. Ich bin Nele.«
    Wenn ich es mir recht überlegte, hätte ich auch gern wie eine Blume geheißen. Dabei fiel mir ein, dass ich Irene unbedingt etwas fragen musste. Später, irgendwann.
    »Wir sind also verwandt«, stellte ich fest. »Vielleicht Cousinen?«
    Margherita schüttelte den Kopf.
    »Halbschwestern?«
    Erneutes Kopfschütteln.
    »Bist du meine Nichte?«
    Dieselbe Reaktion. Dann erzählte Margherita mir eine lange Geschichte über die erste Frau des Padrone. Die hatte Rosalba geheißen und war in ihrer Jugend offenbar sehr heißblütig gewesen. »Sie kam aus Lecce, musst du wissen. Und da haben die Frauen einen bestimmten Ruf.«
    Ich unterbrach sie nicht. In gewisser Weise war es beruhigend zu erfahren, dass auch in meiner italienischen Familie nicht alles reibungslos verlaufen

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