Oma packt aus
weißen Haaren und den ähnlichen schwarzen Kleidern ähnelten sich die beiden mehr, als es Marie und Grete je getan hatten. Aber das mochte auch an dieser zurückhaltenden Art liegen, die sie besaßen.
Mama und Papa ließen sich von ein paar Kindern hereinführen, wobei Papa darauf achtete, dass ihm niemand zu nahe kam. Die kugelsichere Weste war ihm jetzt wohl peinlich.
Ich ging mit Rüdiger und Marcello. Wir betraten einen weitläufigen Hof, von dem die verschiedenen Häuser abgingen. In Windeseile wurden Tische herausgebracht und zu einer langen Tafel zusammengesetzt. Aus mehreren Küchen strömten bald köstliche Düfte, und jemand goss blutroten Wein in die Gläser.
Eine Weile schaute ich dem Treiben verblüfft zu, dann verstand ich. Erst musste gegessen und getrunken werden. Anschließend konnte man über die wichtigen Dinge des Lebens reden. So viel anders als die Heidjer waren die Pugliesi gar nicht.
Ich begann mich wohlzufühlen.
Und diese ganze Verbrecher-Mafia-Geschichte – ach, das war bestimmt nur ein Missverständnis.
Marcello saß neben mir, aber Rüdiger hatte sich noch zwischen uns gedrängt. Der war jetzt mein Beschützer, und niemand durfte mir zu nahe kommen.
Am Kopfende der Tafel saß ein alter Herr, der von allen nur ehrerbietig mit Padrone angesprochen wurde. Seine leicht grantige und überhebliche Art erinnerte mich stark an Opa Hermann. Ich stutzte. Dieser Mann war offensichtlich auch mein Opa, und zwar mein leiblicher.
Marcello war meinem Blick gefolgt.
»Don Antonio«, raunte er mir zu. »Dein nonno .«
Ich nickte überwältigt. Neben ihm saß eine bildschöne Frau, deren nachtschwarzes Haar nur wenige silberne Fäden aufwies. Schätzungsweise war sie fünfundzwanzig Jahre jünger als er. Alle Achtung. Geschmack hatte der Padrone. Aber meine Großmutter konnte diese Dame auf keinen Fall sein.
Sehr rätselhaft und im Moment zu kompliziert.
Ich schaute mich weiter um. Sämtliche Familienmitglieder waren eher dunkle Typen, aber nicht alle sahen mir deshalb ähnlich. Allerdings entdeckte ich hier und dort meine Augen in den fremden Gesichtern, meinen breiten Mund oder die Nase, die ich einen Tick zu flach fand. Es würde interessant sein herauszufinden, mit wem ich um welche Ecken blutsverwandt war.
Interessant und beängstigend. War vielleicht nicht so eilig.
Dicke geröstete Weißbrotscheiben wurden herumgereicht. Sie waren mit Olivenöl beträufelt, mit frischem Knoblauch eingerieben und mit grobkörnigem Meersalz bestreut.
Ich hatte selten etwas Köstlicheres gegessen.
Wenig später kamen große dampfende Schüsseln auf den Tisch. Marcello saß neben mir und erklärte in fast akzentfreiem Deutsch: »Das sind Orecchiette, Öhrchennudeln mit Tomatensoße und Basilikum. Und die Spaghetti hier sind mit Tintenfischtinte gefärbt.«
»Pfui Deibel«, sagte Grete, die uns gegenübersaß und nichts anrührte.
Marie tat es ihr gleich.
Ich kostete von der Pasta und fand sie himmlisch. Eigentlich hätte ich mich in dieser gastfreundlichen Runde entspannen können, wenn nicht hin und wieder von dem einen oder anderen italienischen Familienmitglied ein Name genannt worden wäre. Ein Name wie eine Drohung. »Anna.«
Marcello machte dann jedes Mal eine wegwischende Handbewegung und verbot den anderen weiterzureden.
Aber ich ahnte, dass mir noch einiger Ärger blühte. War ja nicht schwer zu erraten, wer diese Anna war. Ich bekam mit, dass sie heute oder morgen aus Palermo zurückerwartet wurde, wo sie ihre Eltern besucht hatte.
Von mir aus konnte sie gern noch ein Weilchen wegbleiben.
Grete und Marie standen auf und schlichen in seltener Eintracht zu einem der kleineren Trulli, der ihnen als Gästezimmer zugewiesen worden war. Als sie nach einiger Zeit zurückkehrten, wirkten sie zufrieden. Merkwürdig.
Essen, Palaver und Gelächter gingen weiter. Der Novemberabend war lau, die Weingläser blieben bis zum Rand gefüllt. Zum ersten Mal fühlte ich mich inmitten meiner Wikinger-Familie nicht wie eine, die aus der Art geschlagen war. Ganz im Gegenteil. Bei den Occhipintis passte ich perfekt ins Bild. Hingegen wirkten die jüngeren Lüttjens’ und Irene in dieser Gesellschaft wie hingetupfte Farbkleckse – ihre blonden Haare erhoben sich über einem Meer aus Schwarz. Nur die ältere Generation passte mit ihren weißen Haaren zusammen. Dafür reihten sich die Jungen problemlos ein, kauderwelschten, was das Zeug hielt, und genossen das Festessen.
Es gab Calamari fritti, gegrillte
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