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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Kunstgegenstände in großer Zahl. Er rief die Noto-Brüder zu sich und unterzog sie einer demütigenden Schimpftirade. Einige Tage später erwachte Florio erneut und sah, dass die gestohlenen Kunstgegenstände während der Nacht wieder aufgetaucht waren – an ihren ursprünglichen Plätzen. Dies war eine erstaunlich gerissene kriminelle Geste: sowohl eine Entschuldigung als auch eine beiläufige Erinnerung, wie tief die Mafia in den inneren Bereich der Familie Florio vorgedrungen war.
    Sangiorgi erfuhr, dass die Einbrecher, zwei Soldaten der Noto-Brüder, ihre Unzufriedenheit kundgetan hatten, weil man ihnen ihrer Meinung nach den gerechten Anteil vom Lösegeld einer Entführung vorenthalten hatte. Die Noto-Brüder hatten die Diebe vertröstet und ihnen mehr Geld versprochen, sobald die Florios ihr Eigentum zurückbekämen – was prompt geschah. Gleich darauf informierten sie ein Mafiatribunal über den Zwischenfall, welches entschied, dass die beiden Soldaten sich einen ungeheuerlichen Akt des Ungehorsams geleistet hatten. Mehrere Monate später, im Oktober 1897 , lockte ein Exekutionskommando, bestehend aus Vertretern aller acht Mafia-
cosche
, die Einbrecher in eine Falle, erschoss sie und warf ihre Leichen in eine tiefe Höhle in einem Zitronenhain.
    Was selbst Sangiorgi an der ganzen Geschichte entsetzte, war der Umstand, dass die Noto-Brüder den Florios anschließend erzählten, was den Dieben widerfahren war. Im November 1897 , kurz nachdem die Polizei die Leichen in der Höhle gefunden hatte, doch bevor jemand außerhalb der Mafia auch nur die leiseste Ahnung hatte, wie und warum die beiden auf diese Weise hatten enden müssen, posaunte die Mutter Ignazio Florios laut herum, die Toten seien für den Einbruch im Frühjahr bestraft worden. Man habe Gerechtigkeit geübt – diskret und gnadenlos, wie es sich gehöre –, zur Zufriedenheit der Florios wie auch jener der Mafiosi, die die Familie unterstützte. Eine Gerechtigkeit, die nicht das Geringste mit der Polizei zu tun haben durfte.
    Die Welt der Florios bestand aus Gartenpartys und festlichen Bällen, aus königlichen Empfängen und Ausfahrten in der offenen Kutsche, aus Whist-Abenden und Opernpremieren. Eine unüberbrückbare Kluft trennte ihr Milieu von den rattenverseuchten Behausungen, in denen die neapolitanische Camorra ausgebrütet worden war, oder von den stinkenden Hütten der
picciotti
aus Africo. Doch die Kluft zwischen den Florios und der sizilianischen Mafia war kaum spürbar. Sollte es zu einer »offenen Auseinandersetzung« zwischen Staat und Mafia kommen, gab es wenig Zweifel, auf welcher Seite das Haus Florio stehen würde.
    In der Nacht des 27 . April 1900 befahl Sangiorgi die Verhaftung sämtlicher Ehrenmänner, die in seinen Berichten genannt wurden. Er hatte seine Beamten handverlesen und vertraute seinem Urteil, was ihre Ehrlichkeit und ihren Mut anbelangte. Dennoch musste Sangiorgi die Operation bis zur letzten Minute geheimhalten, um Lecks zu vermeiden: Die Spitzel der Mafia waren überall. Im Oktober berichtete der Präfekt von Palermo, Sangiorgi habe die Mafia zum »Schweigen und zur Tatenlosigkeit« verdammt. Dieses Schweigen war die Belohnung für eine monatelange ausgezeichnete Polizeiarbeit. Doch es war auch die Antwort der Mafia auf das, was ihrem bevorzugten Parlamentsmitglied widerfahren war, Don Raffaele Palizzolo.
    Vier Prozesse und ein Begräbnis
    Von November 1899 bis Juli 1904 beschäftigte das Thema Mafia ganz Italien. Ministerpräsident Pelloux musste auf die Staatsanwaltschaft in Palermo Druck ausüben, um sicherzustellen, dass der Mord an Notarbartolo endlich vor Gericht kam. Der Fall wurde fern von Palermo verhandelt, damit die seltsame Stimmung vor Ort nicht den Ausgang beeinflusste. Am Ende würde der Mord an Notarbartolo in drei Prozessen verhandelt werden, ein jeder in einer anderen italienischen Stadt, ein jeder von einer wachsenden Schar Presseleute erschöpfend kommentiert. Zum ersten Mal wurden die skandalösen Machenschaften in Sizilien im ganzen Land publik.
    Der erste Prozess fand im Norden statt, im nebligen Mailand, das nach dem Militärmassaker des vorangegangenen Jahres noch immer ein politisches Pulverfass war. Hier gab die Industrie den Takt vor: Italiens »weiße Kohle«, mit Wasserkraft erzeugte Elektrizität, wurde von den Alpen hergeleitet; am Stadtrand stiegen Rauchsäulen in den Himmel; und ein großartiges Börsengebäude nahm im Stadtzentrum Gestalt an. Mailand war Italiens

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