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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Amtsantritt öffnete General Pelloux eine weitere Front gegen die Mafia. Er rekrutierte den erfolgreichsten Mafiajäger des Landes und beauftragte ihn mit dem folgenschwersten Angriff auf die territoriale Vorherrschaft des organisierten Verbrechens auf Sizilien seit den 1870 er Jahren.
    Floriopolis
    Am 4 . August 1898 telegraphierte der neue Premierminister dem Präfekten von Genua den energischen Befehl: »Polizeichef Ermanno Sangiorgi so bald wie möglich nach Palermo überstellen. Unkosten werden erstattet.«
    Ermanno Sangiorgi war mittlerweile 58  Jahre alt und von allen ranghöheren Polizeibeamten Italiens der erfahrenste. Nachdem er wegen des Droschkenkutscherstreiks von 1893 aus Neapel abgezogen worden war, hatte man ihn nach Venedig, Bologna, Livorno und Genua versetzt. Während seine Karriere einen neuen Aufschwung nahm, erlebte er auch privat Momente großen Glücks. 1890 war ihm eine weitere Tochter geboren worden, Maria Luigia. 1895 heiratete er standesamtlich deren Mutter, Maria Vozza: Die beiden konnten endlich ein gemeinsames Leben führen, ohne Anstoß zu erregen. Doch Sangiorgis ältere Kinder gaben noch immer Anlass zur Sorge. Seine Tochter Italia kränkelte, sein Sohn Italo entpuppte sich als Tunichtgut: Er gab eine feste Anstellung nach der anderen auf, durchstreifte den Orient auf der Suche nach Abenteuern und forderte unentwegt Geld von seinem Vater, das ihn aus seiner »elenden Not« erretten sollte, wie er sich ausdrückte.
    Sangiorgis Versetzung nach Palermo sollte seine letzte Stellung werden, der Höhepunkt einer beinahe 40  Jahre währenden Karriere im Dienst von Recht und Ordnung. Einen Monat, nachdem er wieder in Sizilien angekommen war, trat auch ein neuer Präfekt sein Amt an und verkündete die radikale Strategie, der Sangiorgi und er künftig zu folgen gedachten: Sie wollten die Schutzgelderpressungen unterbinden, die die Grundlage der Mafiamacht bildeten.
    »Das Verbrechen, mittels Drohungen Gelder zu erpressen, ist der entsetzlichste Fluch, der auf der Provinz Palermo lastet. Die Mafia macht sich ein leichtes Leben, indem sie Grundbesitzer plündert; sie hat sich sozusagen ein eigenes Steuersystem geschaffen.«
    Mit einem Mal, inmitten der finstersten politischen Krise Italiens, erhielt Sangiorgi die politische Unterstützung, die er brauchte, um den »offenen Kampf gegen die Mafia« weiterzuführen, den er vor vielen Jahren begonnen hatte. Seine Bemühungen sollten sich auf die Piana dei Colli konzentrieren, im Nordwesten Palermos – jene schöne, gefährliche Gegend, vor deren Kulisse in den 1860 er und 1870 er Jahren der alte Gambino und seine Söhne von Giovanni Cusimano schikaniert worden waren.
    Sangiorgi kam während eines Mafiakriegs nach Palermo. Wie immer ging es dabei um die ertragreichen Zitrusgärten der Conca d’Oro. Die Spur des Todes war nach Mafiamaßstäben nicht sonderlich lang: fünf erschossene Mafiosi, ein weiterer in den Selbstmord getrieben und ein siebenter auf der Flucht nach New Orleans vergiftet. Es gab außerdem zwei unschuldige Opfer, eine 18 -jährige Verkäuferin und einen 17 -jährigen Kuhhirten, beide ermordet, damit sie nicht redeten. Neu war allerdings an diesem Mafiakrieg der späten 1890 er Jahre die Tatsache, dass Sangiorgi ihn sorgfältig nutzte, um Zeugen zu gewinnen, sowohl unter den Mafiosi selbst als auch unter deren unschuldigen Opfern. Mit Hilfe ihrer Aussagen gelang ihm eine ausführliche und überzeugende Beschreibung der Sektenstruktur. Berichte darüber schickte er zwischen November 1898 und Januar 1900 in regelmäßigen Abständen nach Rom.
    Was an Sangiorgis Schilderungen als Erstes auffällt, ist die Tatsache, dass er bei den Wurzeln der Mafia beginnt. Er musste davon ausgehen, dass seine Leser (hauptsächlich ranghohe Richter sowie der Premierminister) nicht das Geringste über die Mafia wussten, weil noch keine gesicherten Erkenntnisse vorlagen. Deshalb erläuterte er zunächst die Grundbegriffe:
    »Das Ziel der Vereinigung besteht darin, Grundbesitzer zu schikanieren und auf diese Weise zu nötigen, Verwalter, Wachleute und Landarbeiter einzustellen, ihnen Vertragsagenten aufzuzwingen und den Preis zu diktieren, der für Zitrusfrüchte und andere Produkte gezahlt werden soll.«
    Nach diesen einfachen ersten Schritten legte Sangiorgi einen weiten Weg zurück. Er erhielt die Gelegenheit zu bestätigen, was er bereits über das Initiationsritual der Mafia wusste, und ergänzte seinen Bericht mit einer Liste der Bosse,

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