Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Stunde. Neorealistische Regisseure trugen ihre Kameras in die zerbombten Straßen; sie filmten bewegende Dramen von Bauern, die sich auf den Terrassenfeldern abrackerten oder durch Reisfelder wateten. Das neorealistische Kino wirkte so lebensnah, als habe sich die Haut der Geschichte zum Film geschält (um die sinnträchtige Äußerung eines Kritikers zu zitieren). Zu keinem Zeitpunkt war die Kinoleinwand wichtiger für die Art und Weise, wie sich Italien das Hell und Dunkel im eigenen Land vorstellte.
In nome della legge(Im Namen des Gesetzes)
kam im März 1949 in die italienischen Kinos und war Italiens erster Mafiafilm. Eine seltsame Mischung: Zum einen besitzt er viele Attribute des neorealistischen Films, vor allem in der Art und Weise, wie er sich der sonnenversengten sizilianischen Landschaft bedient; zum anderen gelingt ihm auch der Spagat zwischen Neorealismus und Hollywood. Der Regisseur Pietro Germi war zwar nie in Sizilien gewesen, ehe sein Film 1948 in Produktion ging. Andererseits war seine Unwissenheit nicht weiter von Belang, denn als er von der Fähre stieg und zum ersten Mal den Fuß auf die Insel setzte, wusste er bereits genau, was ihn dort erwartete: Arizona.
Im Namen des Gesetzes
ist eine waffenstarrende
ménage-à-trois
zwischen dem Neorealismus und zwei Hauptgenres des amerikanischen Kinos, Gangsterfilm und Western. Germis Sizilien ist gleichsam Tombstone mit mediterranem Beiwerk: ein Ort der einsamen Streiter für das Recht, der langen, bedeutsamen Blicke und der heimtückischen Überfälle in Bergesschluchten. Züge schleppen sich in verlassene Bahnhöfe, Schüsse hallen über den weiten Horizont, und Männer betreten Bars, um sich den sizilianischen Anislikör hinter die Binde zu kippen wie die Cowboys ihren Whisky.
Die Pseudo-Wildwestkulisse, so Germis Argument, dramatisiere den Zweikampf zwischen dem einsamen Gesetzeshüter und seinem kriminellen Gegenspieler. Der muskulöse Herzensbrecher Massimo Girotti in der Rolle des jungen Richters Guido Schiavi war Italiens Antwort auf John Wayne. Doch geradezu besessen war Germis Kamera von Turi Passalacqua, den der französische Altstar Charles Vanel spielte: Er wurde immer von unten aufgenommen, vor einem blassen Himmel – als wäre er halb raubeiniger Rancher, halb wilder Apache.
Die Mischung aus Western und Mafiaepos funktionierte prächtig. Die ersten öffentlichen Vorführungen ernteten »stürmischen Beifall«.
Im Namen des Gesetzes
wurde zum drittbeliebtesten Film der Kinosaison 1948 – 49 in Italien. Er spülte 401 Millionen Lire (heute, 2011 , etwa sieben Millionen Euro) in die Kassen und konnte sich in kommerzieller Hinsicht mit Hollywoodklassikern wie
Bis zum letzten Mann (Fort Apache)
und
Der Schatz der Sierra Madre
messen.
Als Gangsterfilm wirkt
Im Namen des Gesetzes
auf den ersten Blick recht harmlos – unser Geschmack ist schließlich auf
GoodFellas
und
Gomorrah
geeicht. Doch auch Germis Film ist düster: Seine Hintergrundgeschichte steckt voller dunkler Überraschungen, und sein Kontext zeugt von der beispiellosen Gewalt und Arroganz der Mafia. An jüngeren Klassikern des Mafiafilm-Genres wie
Der Pate
wird häufig kritisiert, sie verherrlichten das organisierte Verbrechen. Dabei ist Coppolas Film diesbezüglich fast harmlos im Vergleich zu Germis
Im Namen des Gesetzes
. Der Vorspann zeigt uns ein vertrautes Dementi: »Jeder Bezug auf reale Ereignisse, Orte und Personen ist rein zufällig.« Doch dies entspricht hier nicht ganz der Wahrheit.
Im Namen des Gesetzes
basiert auf einer Romanvorlage und ist dem Leben des Autors nachempfunden.
Piccola Pretura
(Kleines Amtsgericht) entstand in den ersten Monaten des Jahres 1947 . Sein Autor war Giuseppe Guido Lo Schiavo, eine der führenden Autoritäten in Sachen Mafia, ein Mann, der in Palermo geboren und aufgewachsen war, im Ersten Weltkrieg gekämpft und sich danach an vorderster Front gegen das organisierte Verbrechen auf seiner Heimatinsel engagiert hatte.
Lo Schiavos Leben war eng verwoben mit der Geschichte der Mafia zu Zeiten des Faschismus. 1926 war er selbst ein junger Richter gewesen, genau wie der Held seines Romans. (Die Ähnlichkeit der Namen von Autor und Protagonist – Giuseppe Guido Lo Schiavo/Guido Schiavi – ist kein Zufall.) In diesem Jahr hatte Benito Mussolini zu einem längst überfälligen Schlag gegen die Mafia ausgeholt. Das »Krebsgeschwür des Verbrechens« werde vom faschistischen »Skalpell« aus Sizilien herausgeschnitten, prahlte der Duce.
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