Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Polizei und Carabinieri führten die Razzien durch, und Ermittlungsrichtern wie Lo Schiavo fiel die Aufgabe zu, die erforderlichen Beweise zu sammeln, auf deren Grundlage sich die vielen tausend Festnahmen in Schuldsprüche verwandeln ließen.
Lo Schiavo gehörte zu den enthusiastischsten Befürwortern des faschistischen Feldzugs gegen die Mafia. 1930 veröffentlichte ein Anwalt der Gangster, Giuseppe Mario Puglia, einen Artikel, in dem er behauptete, die Mafia sei mitnichten ein verbrecherischer Geheimbund. Ein Mafioso sei auch kein Krimineller, sondern ein unverbesserlicher Individualist, »einer, der sich instinktiv weigert, jemanden über sein Ego zu stellen«. Er sei zudem ein typischer Sizilianer, weil dieser übertriebene, stolze Eigensinn tief in der Psyche der Insel verwurzelt sei, eine Form des Widerstands gegen jahrhundertelange Fremdherrschaft. Wer demnach die Mafia unterdrücke, unterdrücke unweigerlich auch das sizilianische Volk. Kurzum, Puglias Aufsatz liest sich wie das Gerede unzähliger Mafiaapologeten seit den 1870 er Jahren und erinnert an die Worte, die Lo Schiavo später dem Mafiaboss Turi Passalacqua im Film
Im Namen des Gesetzes
in den Mund legen wird.
Doch zunächst wollte Lo Schiavo die Behauptungen des Verteidigers nicht unangefochten durchgehen lassen und antwortete mit einem Pamphlet, einem kleinen Meisterstück verhaltener Wut. Die Mafia, so Lo Schiavo, sei ein »kriminelles System«; sie sei nicht nur ungesetzlich, sondern ein »gesetzloser Organismus, dessen einziges Ziel darin besteht, mit unlauteren Mitteln reich zu werden«.
Dann erteilte Lo Schiavo dem Mafiaanwalt eine Lektion in Mafiageschichte. Die sizilianische Mafia sei zunächst aus der politischen Gewalt des
Risorgimento
hervorgegangen, erklärte er, als patriotische Verschwörer die revolutionären Schläger, derer sie bedurften, unter den gefürchteten Wächtern, Aufsehern und Banditen gefunden hätten, die im sizilianischen Hinterland die Regeln bestimmten. Von diesen Verschwörern hätten die Kriminellen gelernt, sich wie die Freimaurer zu organisieren. Lo Schiavo habe außerdem die wirtschaftliche Geschichte der Mafia erforscht und herausgefunden, dass sie reich geworden war, indem sie von den Besitzern der wertvollen Zitrusgärten rings um Palermo Schutzgeld erpresst hatte.
Die Angst vor der Mafia durchdringe die gesamte Gesellschaft im Westen Siziliens, reiche bis ins Parlament. Jedes unfreundliche Wort gegen die Mafia treffe unweigerlich auf ein feindseliges Ohr. Und genau dies sei der Grund, erklärte Lo Schiavo, warum man von so vielen Sizilianern immer wieder dieselbe Leier höre: »Es gibt keine Mafia; Mafiosi sind schlimmstenfalls einheimische Problemlöser, die der Obrigkeit mit dem typisch sizilianischen Stolz begegnen.« Sogar die Großgrundbesitzer, theoretisch die prominentesten Opfer der Mafia, hätten dieses Märchen geschluckt und seien der festen Überzeugung, dass die Mafia den sozialen Frieden bewahre, für Recht und Ordnung sorge. Doch in Wirklichkeit, so Lo Schiavo weiter, sei die Mafia »ein Programm, um aufrechte Mitglieder der Gesellschaft auszubeuten und zu behelligen. Die vermeintliche Wohltätigkeit, hinter der sie sich versteckt, ist doch nichts anderes als ein Lügenmärchen.«
Zu Beginn der 1930 er Jahre war demnach derselbe Mann, dessen Roman später als Vorlage für den Film
Im Namen des Gesetzes
dienen sollte, noch ein Streiter gegen die Mafia gewesen, der außerdem den Mut besaß, sich auf eine öffentliche Debatte mit den Anwälten der Verbrecherbosse einzulassen. 1948 war Lo Schiavo dann einer der angesehensten Juristen im Land und Staatsanwalt am Obersten Gerichtshof in Rom. Im selben Jahr veröffentlichte er seinen Roman, der prompt verfilmt wurde.
Sowohl der Roman als auch der Film erzählen die einfache Geschichte des jungen Richters Guido Schiavi, der an einen entlegenen Ort versetzt wird, tief im unfruchtbaren Ödland im Inneren Siziliens. An diesem gesetzlosen Ort regiert uneingeschränkt die Mafia und erpresst Schutzgeld vom hiesigen Großgrundbesitzer. Als Banditen einen der Tagelöhner töten, spürt der
capomafia
Turi Passalacqua sie auf: Die Mörder werden gefesselt, in einen trockenen Brunnenschacht gestoßen oder in einer Gebirgsschlucht kurzerhand von hinten erschossen.
Der junge Richter untersucht diese Tötungsserie, wird jedoch von den entsetzten Einwohnern der Stadt ausgeschlossen. Als der mutige Schiavi den
capomafia
Turi Passalacqua auf seiner weißen
Weitere Kostenlose Bücher