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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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den Jahren nach dem Krieg spürbar Scheu, das Wort »Camorra« in den Mund zu nehmen oder sich überhaupt einzugestehen, wie ernst das Verbrechensproblem in der Stadt geworden war. Neapel war ein bedeutendes politisches Schlachtfeld. Hier rangen gegensätzliche politische Kräfte um die Seele der italienischen Rechten: auf der einen Seite die schleichende Macht der Christdemokraten, auf der anderen die Monarchisten unter dem Kriegsgewinnler, Reeder und Fußballmogul Achille Lauro. (Neapel hatte, wie viele Städte des Südens, im Referendum von 1946 gegen eine Republik gestimmt. Daher blieb sie für die Rechten der Stadt ein zentrales Thema.)
    Die Bevölkerung der Stadt, um die diese beiden politischen Kräfte kämpften, war von chronischer Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit gezeichnet, von schlechter Gesundheit und Analphabetismus. Industrie und Infrastruktur in Neapel hatten sich noch nicht von den Kriegsschäden erholt, die hier schlimmer waren als in jeder anderen italienischen Stadt. Doch die Politik, von Instabilität und Misswirtschaft geprägt, fand keine Lösung und kreiste vor allem um die lukrative Baubranche. Es waren die Jahre der »Makkaroni-Politik«. Wann immer Wahlen bevorstanden, pflegten politische Granden ihre Agenten vor Ort anzuweisen, in den Armenvierteln Spendenzentren zu errichten. Dort wurden, gegen Wählerstimmen, Päckchen mit Pasta, Fleisch und gesalzenem Hering verteilt, gehüllt in das vage Versprechen einer Beschäftigung oder Rente. Achille Lauros Stimmenfänger kamen gar auf die Idee, künftige Wähler mit Schuhen zu belohnen: Den rechten Schuh gab es vor dem Urnengang, den linken danach, sobald die Stimmabgabe sicher aufgezeichnet war.
    Die Armen, die ihre Stimmen so billig verkauften, schienen gegen die Vorzüge von Bildung, sozialem Aufstieg und konventioneller Parteipolitik noch immer fast ebenso immun zu sein wie zur Zeit der italienischen Einigung im Jahr 1860 . Ihre politische Loyalität war verständlicherweise launisch. Abgesehen von Makkaroni oder Schuhen war eines der wenigen Lockmittel, um ihre Stimmen zu gewinnen, ein auf die Tränendrüse drückender Patriotismus, der mit der Behauptung einherging, die Probleme der Stadt seien allesamt der Gleichgültigkeit des Nordens geschuldet. Achille Lauro, dem auch die größte Zeitung in Neapel gehörte,
Roma
, war ein Meister darin, dem Stereotyp des großherzigen Neapolitaners zu schmeicheln, dem die Geschichte übel mitgespielt hatte. Berichte über die Camorra und das organisierte Verbrechen wurden als abgedroschener Snobismus aus dem Norden abgetan.
    Es gab noch einen weiteren Grund, warum man in Neapel darauf beharrte, das Wort Camorra in die Vergangenheit zu verbannen: Kriminelle waren ein fester Bestandteil des herrschenden politischen Apparats. Sogar der alte Camorrista Gennaro Abbatemaggio betätigte sich gelegentlich als Wahlagent für Achille Lauro. Doch weitaus wichtiger als diese Agenten an der Basis waren die sogenannten
guappi
, die Straßenbosse und Problemlöser.
Guappi
waren Hehler und Kredithaie und betrieben illegale Lotterien. Sie waren nicht nur die Strippenzieher der lebhaften Kriminellenszene in der Stadt, sondern hielten auch politisch die Fäden in der Hand: Indem sie von den Politikern, zu deren Gunsten sie Wählerstimmen sammelten, Gefälligkeiten einforderten, lösten sie Alltagsprobleme.
    Der berühmteste
guappo
von allen war Giuseppe Navarra, der König von Poggioreale. Er war ein loyaler Wahlagent für die Monarchisten und Achille Lauro und wurde dafür von seinen politischen Gönnern mit den Ehrentiteln eines Commendatore und eines Großkreuz-Ritters des Konstantinordens belohnt. Während des Krieges hatte er Schwarzhandel getrieben und sich mit den Behörden der Alliierten angefreundet. Er machte außerdem eine Menge Geld mit Eisen und anderem Schrott, den seine Leute (zumeist illegal) aus den ausgebombten Häusern holten.
    Navarra lebte unter den Sargmachern an der Hauptverkehrsstraße des Stadtteils Poggioreale, in dem sich der Friedhof und das Gefängnis befanden. Er pflegte auf dem Gehweg auf einem Holzstuhl Hof zu halten. Angeblich hielt an seinem Namenstag die Straßenbahn vor seinem Haus, damit sämtliche Fahrgäste von seinen Süßigkeiten und dem Likör kosten konnten. Navarra fuhr einen großen Lancia Dilambda mit Trittbrettern an den Seiten, wie man ihn aus amerikanischen Gangsterfilmen der Jahre zwischen den Weltkriegen kennt. Navarra hatte den Wagen nach dem Sturz Mussolinis bei

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