Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Ende. Frank Costello, einst das »respektable« Gesicht der amerikanischen Mafia und deren Bindeglied zu den Demokraten in New York, erhielt eine kurze Haftstrafe, doch seine Steuerangelegenheiten zogen die unwillkommene Aufmerksamkeit des
Internal Revenue Service
, der Bundessteuerbehörde, auf sich. Dank seines »Handballetts« brachte es Costello zu jener Art trauriger Berühmtheit, der sich sizilianische Mafiosi wiederholt hatten entziehen können. »Kefauver ist ein Meister des öffentlichen Auftritts«, kommentierte die Zeitung
L’Unità
. Während also Italiens Kommunisten bejubelten, was Kefauvers Untersuchungsausschuss ans Licht brachte, beneideten sie Amerika im Stillen auch um die Folgen.
Viele der zwielichtigen Gestalten, die von Estes Kefauver befragt wurden, wollten sich nicht selbst belasten – so viele, dass der Ausspruch »ich berufe mich auf den 5 . Zusatzartikel« in die Allgemeinsprache überging. Um die großen Lücken in den Zeugenaussagen zu füllen, verließ sich der streitbare Senator auf mehrere Quellen: das Bundesamt für Betäubungsmittel, dessen ambitionierter Kopf Harry J. Anslinger seit Jahren versucht hatte, das Mafiaproblem anzugehen; die häufig verworrenen Aussagen einer Schar Informanten; und eine Menge Mutmaßungen. Das Profil der Mafia, das sich aus Kefauvers Ermittlungen ergab, war entsprechend alarmierend:
»Hinter den lokalen Banden, aus denen sich das Verbrechersyndikat im Land zusammensetzt, verbirgt sich eine düstere international agierende kriminelle Organisation, die als Mafia bekannt und so unwirklich ist, dass die meisten Amerikaner kaum glauben können, dass sie tatsächlich existiert. Die Mafia, die ihre Wurzeln und Hochburgen auf Sizilien hat, herrscht in vielen illegalen Bereichen (…) und setzt ihren Kodex durch, indem sie jeden beseitigt, der sich ihr entgegenstellt oder sie verrät (…) Die Mafia ist kein Ammenmärchen. Sie ist auf unheimliche Weise real, und sie hat das Gesicht Amerikas mit allen erdenklichen Formen krimineller Gewalt verunstaltet, darunter Mord, Drogenhandel, Schmuggel, Erpressung, Versklavung, Entführung sowie die Ausbeutung von Arbeitern (…) Die Mafia von heute ist tatsächlich eine geheime internationale Regierung innerhalb der Regierung. Sie hat ein internationales Oberhaupt in Italien – Charles (Lucky) Luciano, wie die Behörden der USA vermuten (…) Die Organisation verfügt außerdem über einen Hohen Rat und über nationale und kommunale Anführer in den Ländern, in denen sie agiert, einschließlich den USA .«
Amerika durchlebte damals eine paranoide Phase, ausgelöst durch den Kalten Krieg, und in Kefauvers Ausführungen findet sich mehr als ein Hinweis auf die damalige Weltsicht, die unter jedem Bett einen Kommunisten vermutete. Die Mafia: eine ausgeklügelte kriminelle Verschwörung gegen Amerika, eine globale Organisation, deren »Dreh-und Angelpunkt« der »Zar des Lasters« Lucky Luciano war.
Lucky Lucianos wahre Geschichte passte nicht recht zu Kefauvers Bild von ihm. 1946 hatte man ihn verdächtig schnell aus einer langen Haftstrafe entlassen, die er wegen Zuhälterei absaß. Des Landes verwiesen, eröffnete er in Neapel ein Geschäft. Dort handelte er gemeinsam mit seinen sizilianischen und neapolitanischen Freunden ein wenig mit Drogen, aber er war mit Sicherheit nicht das Oberhaupt einer kriminellen Verschwörung, eine Art Superboss, dessen Befehle in allen Winkeln der Welt getreulich ausgeführt wurden.
In den USA hegten viele Menschen verständliche Vorbehalte gegen Kefauvers marktschreierische Schlussfolgerung, und einige weigerten sich gar zu glauben, dass so etwas wie die Mafia überhaupt existierte. Selbst der Mann, der damit beauftragt war, die Empfehlungen des Ausschusses niederzuschreiben, nannte sie einen »romantischen Mythos«. Das FBI würde noch einige Jahre an der Existenz der Mafia zweifeln. Kefauver hatte den Bogen überspannt.
Giuseppe Prezzolini, Professor an der Columbia University in New York, war der prominenteste amerikanische Gesprächspartner der italienischen Presse. Anders als die Kommunisten vertrat er eher die gängige Meinung zum organisierten Verbrechen in Italien. Als er Anrufe von besorgten Amerikanern erhielt, die wissen wollten, ob die Mafia in Italien wirklich existiere, fühlte er sich bemüßigt, Kefauvers Ausführungen als »groteskes Märchen« abzutun. Die Mafia auf Sizilien, erklärte Prezzolini, sei keine kriminelle Organisation, sondern das Ergebnis
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