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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Übertreibung. Nach den Verhaftungen von 1962 / 63 , nachdem so viele Männer ins Zwangsexil geschickt worden waren oder eine Zeitlang im Gefängnis verbracht hatten, und nach dem Catanzaro-Prozess im Jahre 1968 , war das Geld futsch. Es war für Anwälte, Gefängnisaufenthalte und all das Zeug draufgegangen (…) Als die Bosse der Cosa Nostra um 1968 herum wieder freikamen, waren sie allesamt pleite. Mag sein, dass Luciano Liggio das eine oder andere Haus oder Anwesen besaß, aber er wollte nichts verkaufen. Stellt euch vor, ›der Kurze‹ Riina hat geweint, als er mir sagte, seine Mutter könne ihn nicht im Gefängnis besuchen – das war 1966 oder 1967  –, weil er sich die Zugfahrkarte für sie nicht leisten konnte. Also wurden 1971 oder so eine Reihe von Entführungen organisiert.«
    Die Verantwortlichen für die neue Entführungswelle stammten aus Corleone, einer Stadt, die etwa 55  Kilometer von Palermo entfernt war. Die Corleoneser sind uns in dieser Geschichte der Mafia schon des Öfteren begegnet. Mit den Entführungen wurden sie zu ihren Hauptakteuren. Luciano Liggio war ein Kleinkrimineller, dessen Treffsicherheit dem Boss der Stadt, Dr. Michele Navarra, imponierte. 1958 erschoss Liggio schließlich Michele Navarra. Der tiefe Graben, der ab diesem Zeitpunkt die Familie spaltete, machte Corleone berühmt: »Tombstone«, so taufte es die Presse. Bald ging Liggio triumphierend aus dem Machtkampf hervor, was zum großen Teil seinen brutalen jungen Leutnants geschuldet war, Totò Riina und Bernardo Provenzano. Die
Corleonesi
pflegten eine Zeitlang Beziehungen zu Vito Ciancimino, dem christdemokratischen »jungen Türken«, der zu Beginn der sechziger Jahre bei der Plünderung Palermos eine nützliche Rolle spielte. Liggios Machtbasis war so solide, dass er 1969 , nach der Wiederherstellung der Cosa Nostra, ein Mitglied des Triumvirats wurde, das mit der Umstrukturierung der Organisation betraut war. Da Liggio häufig außer Landes war, wurde er bei den Triumviratstreffen und später in der Kommission oft von Riina vertreten, der sich zum mächtigsten und gewalttätigsten sizilianischen Mafiaboss aller Zeiten entwickeln sollte.
    Die Corleoneser versuchten am 8 . Juni 1971 zunächst ihre knappen Barbestände aufzubessern, als ein 21 -jähriger Mann, der gerade vor sein Haus gefahren war, nachdem er einen eisgekühlten Kuchen gekauft hatte, von fünf Angreifern gepackt und in ein Auto verfrachtet wurde; Passanten wurden mit Pistolen bedroht. Plötzlich gingen die Bürger Palermos weniger aus dem Haus und fragten sich, wer als Nächster entführt werden würde. Das Opfer war nämlich Pino Vassallo, der Sohn des berüchtigten »Betonkönigs« Don Ciccio Vassallo – der viele der Wohnblocks gebaut hatte, in denen ein Großteil des Palermer Bürgertums jetzt lebte. Vassallo hatte sämtliche Schlachten der sechziger Jahre unversehrt überstanden. Jetzt schien sein Schutz versagt zu haben.
    Ein von der Mafia beschützter Geschäftsmann wie der Betonkönig (oder in diesem Fall dessen Sohn) war die perfekte Geisel. Doch gleichzeitig war seine Entführung eine potentielle Katastrophe. Einerseits waren die kriminellen Machenschaften hinter Vassallos Vermögen ein Garant dafür, dass die Angelegenheit diskret behandelt werden würde. Don Ciccio würde kaum versuchen, die Polizei einzuschalten. Das Lösegeld – geschätzte 150 bis 400  Millionen Lire ( 1 , 2 bis 3 , 2  Millionen Euro) – wurde pünktlich bezahlt, und Pino Vassallo kam frei. Andererseits war es ein ungeheurer Affront, jemanden zu entführen, der von einem anderen Boss beschützt wurde. Einem anderen die Einnahmequelle wegzuschnappen, kam einer Kriegserklärung gleich. Dass es nach der Vassallo-Entführung nicht sofort zum offenen Krieg kam, war vielleicht der Tatsache geschuldet, dass Vassallos Schutz vorübergehend außer Kraft gesetzt war – zumal die Mafiosi, die ihm am nächsten standen, die La Barbera-Brüder, im ersten Mafiakrieg auf der Verliererseite gestanden hatten.
    Als sie das Lösegeld aus der Vassallo-Entführung erhielten, legten Liggio und seine Männer tadellose Mafiamanieren an den Tag, indem sie es zu gleichen Teilen zwischen den notleidendsten Familien in der Provinz Palermo aufteilten. Die Operation Vassallo diente also zwei friedlichen Zwecken: der Umverteilung des Vermögens und der Festigung des neuen Kräftegleichgewichts, das nach den Turbulenzen der 1960 er Jahre entstanden war. Doch bald würde das Thema Entführung

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