Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
aus Fischern im Stadtviertel Mergellina geboren, waren Spavone und sein älterer Bruder die Anführer einer Schwarzhändlerbande im Chaos der AMGOT -Verwaltung von 1943 bis 1945 , aus dem so viele kriminelle Karrieren hervorgegangen waren. Als Spavones Bruder bei einem Bandenkrieg ums Leben kam, rächte sich Antonio auf spektakuläre Weise, indem er in eine Familienfeier in einem Restaurant platzte und den Anführer der gegnerischen Gang vor aller Augen erstach. Seine Tat brachte ihm nicht nur eine langjährige Haftstrafe ein, sondern auch das Recht, den schlichten, aber vielsagenden Spitznamen seines Bruders weiterzuführen: ’
o Malommo
– der böse Mann.
1975 , als
’o Malommo
und Cutolo zur gleichen Zeit im Poggioreale-Gefängnis saßen, beschloss der Jüngere, den Älteren zu einer
zumpata
, einem Messerduell, herauszufordern – wie die Camorristi von einst. Es war vermutlich eine gewollt archaische Geste: Ebenso gut hätte er
’o Malommo
den Fehdehandschuh hinwerfen können. Cutolos Herausforderung wurde abgelehnt, entweder weil
’o Malommo
kurz vor der Entlassung stand, oder weil er die anmaßende Unverschämtheit des jungen Ganoven keiner Antwort für würdig erachtete. Als er sich nach langer Zeit an die Episode erinnerte, gab ein Häftling, der damals ebenfalls im Poggioreale einsaß, eine schlaue Analyse von der Art und Weise, wie Cutolo die Gerüchteküche im Gefängnis anzuheizen verstand:
»Keiner hatte den Vorfall beobachtet. Die Sache war völlig ›virtuell‹. Irgendjemand, vielleicht Cutolo selbst, brachte das Gerücht in Umlauf, dass das Duell nicht stattgefunden habe, weil
’o Malommo
zu feige war. In solchen Fällen machen dann unterschiedliche Versionen die Runde – Versionen, die entweder der einen oder der anderen Seite zupasskommen. Cutolo hat es weit gebracht mit seinem Ruhm, der oft nur auf erfundenen Begebenheiten gründete. Er verstand sich darauf, Großtaten, die er nie begangen hatte, so glaubwürdig zu schildern, dass sie zur Legende wurden. Er hatte ein außerordentliches Talent dafür, sein eigenes Image zu pflegen.«
Selbst innerhalb der engen Grenzen eines Gefängnisses ist das organisierte Verbrechen – wie organisiert es auch immer sein mag – ein Bereich, in dem nur wirre Informationsfetzen zirkulieren. »Der Professor« verstand es meisterhaft, die Lücken in den Geschichten für sich arbeiten zu lassen, und schuf auf diese Weise seinen eigenen Mythos.
Cutolos
Gedichte und Gedanken
sind abstoßend, oftmals auch nur platt und hölzern. Doch sie wären weit weniger gefährlich, würden sie lediglich die stilisierten Messerkämpfe in Gefängniskorridoren oder die grausame Geschicklichkeit eines Killers besingen. Cutolos Texte taten weit mehr als das. Die Bücher zirkulierten unter seinen Anhängern wie die Schriften eines neuen Messias und lieferten der
Nuova Camorra Organizzata
ein verführerisches neues Drehbuch. Indem wir dieses Drehbuch analysieren, blicken wir hinter die charismatische Ausstrahlung des »Professors«.
Nihilismus ist der Grundton in Cutolos Philosophie. Wir sind ausnahmslos wilde Bestien, allzeit bereit, einander für schmutziges Geld in Stücke zu reißen. Der Mensch ist von allen Tieren das heimtückischste und grausamste; er sollte eigentlich nicht existieren. Doch der psychologische Trick, den »der Professor« in
Gedichte und Gedanken
anwendet, besteht in der Erschaffung eines kriminellen Wertesystems, das vor diesem Hintergrund der Angst und Verzweiflung wie eine Erlösung anmutet.
Eine Vielzahl von Cutolos Versen äußern die Sehnsucht eines Gefangenen nach der Freiheit, der Mutter, nach den Eindrücken, Geräuschen und Gerüchen seines Zuhauses. All dies mag nach Selbstmitleid klingen. Dabei zeigt es nur, dass Cutolo als Anführer schlau genug war, sich mit der seelischen Verwundbarkeit seiner Mithäftlinge zu identifizieren. Seine Rührseligkeit diente in erster Linie einem sehr unsentimentalen Zweck, nämlich der Bildung einer disziplinierten kriminellen Armee.
»Das Urteil: lebenslange Haft
Als Jugendlicher
Betratest du
Die grabesgleiche Zelle
Die stille Zelle
Die leidende Zelle
Du fühltest dich einsam, und verloren«
Cutolo schiebt die Tatsache, dass er, wie so viele, kriminell wurde, auf die soziale Ungleichheit und vor allem auf das Gefängnissystem. Doch diese Entbehrungen hätten eine veredelnde Wirkung, so Cutolos Maxime: »Merkt es euch: Die besten Männer enden als Geächtete, Flüchtlinge oder Gefangene. Und schuld
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