Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
Vom Netzwerk:
sicher, dass er während seines Gefängnisaufenthalts ein Mitglied der ’Ndrangheta geworden war: Zwei ’Ndranghetisti schilderten den Behörden, wie Cutolo 1974 seine »zweite Taufe« empfangen hatte. Später würde Cutolo die neuen Rekruten der NCO einer ähnlichen Zeremonie unterziehen. Von der ’Ndrangheta borgte sich Cutolo auch die Begriffe, um die Ränge innerhalb der Organisation zu benennen:
giovane d’onore
,
picciotto
,
cuntajuolo
,
contabile
,
santista
und so weiter. Es war Cutolo, der 1976 im Gefängnis von Neapel, während des ersten ’Ndrangheta-Kriegs, im Auftrag seiner kalabrischen Freunde den Triumvir Mico Tripodo erstechen ließ.
    Mit Raffaele Cutolo schloss sich der Kreis der Camorra. Von kalabrischen Gangstern lernte er Rituale und Begriffe, die die ’Ndrangheta selbst von der Gefängnis-Camorra des frühen 19 . Jahrhunderts geerbt hatte, und brachte sie in das neapolitanische Gefängnissystem zurück, aus dem sie ursprünglich stammten und wo sie vor dem Ersten Weltkrieg ausgestorben waren.
    Für einen Gangsterboss verfügte Cutolo in der Tat über außergewöhnliche Geschichtskenntnisse. Für seine Männer war er »der Professor«, zum einen, weil er sich in der Gefängnisbibliothek Bücher über die Geschichte der Camorra auslieh, zum anderen, weil er für seine Bewunderer Gedichte und kurze Gedanken über das Leben, die Liebe und die Omertà verfasste. 1980 veröffentlichte er seine Notizen unter dem Titel
Gedichte und Gedanken
. Das Buch wurde von der Polizei beschlagnahmt und sein Besitz unter Strafe gestellt. Es ist nicht schwierig, sich den Grund dafür zu denken: Cutolo macht wenig Hehl aus dem Schrecken, den er verbreitete. Das Buch zeigt auch, wenn auch weniger deutlich, dass »der Professor« seine Zeit in der Gefängnisbibliothek gut zu nutzen wusste. Als Beispiel seien die Verse zitiert, die den wichtigsten Vollstrecker der NCO innerhalb des Gefängnissystems besingen, Pasquale Barra, »o Sturente« (der Student) oder passender »o ’Nimale« (das Tier) genannt. Barra war ein hagerer Mann mit dunklem Bart, einer sehr auffälligen Nase und den Augen eines Maulwurfs. Er war seit ihrer gemeinsamen Jugend in Ottaviano Cutolos treuer Freund gewesen und das erste Mitglied der NCO . Seine vorrangige Rolle bestand darin, Leute auf Befehl seines alten Freundes hin zu erstechen. Das ihm gewidmete Gedicht trägt den schlichten Titel »Ein Mann der Camorra«:
    »Pasquale Barra: In unserer Stadt
    Hieß er ›der Student‹
    Wenn eine
zumpata
ansteht, gibt es keinen Bessern als ihn
    Er bezwingt eine ganze Armee
    Seine Methode ist immer dieselbe
    Seine Messerstiche sind tödlich
    Von unten in die Lunge, dass du husten musst
    Und roten Schaum spuckst
    Wenn du zu Boden gehst, lässt er dich liegen …«
    Auf seine eigene abstruse Weise bediente Cutolo sich hier der Poesie, um seinem bösartigen Gefolgsmann eine gewisse literarische und historische Größe zu verleihen. In Wirklichkeit ist »Ein Mann der Camorra« nämlich aus Versen gedrechselt, die aus einem viel älteren Gedicht über den längst toten Camorrista Gennarino Sbisà gestohlen waren. Dessen Verfasser, der Journalist Ferdinando Russo ( 1866 – 1927 ), feierte des Öfteren einzelne Camorristi, wobei er seinen Versen ausreichend realistischen Kies beimengte, um den Porträts der edlen Ganoven Authentizität und Gefährlichkeit zu verleihen.
    Die Camorra in Russos Tagen – mit ihrem hierarchischen Gefüge und den zeremoniellen
zumpate
oder Messerkämpfen – unterschied sich stark von den losen Gangs und den Straßenbossen, die einen Großteil des 20 . Jahrhunderts die kriminelle Szene in Neapel dominierten. Und mit seinen Gedichten hatte Ferdinando Russo erheblich dazu beigetragen, dass ein Volkskult um die Ehrenwerte Gesellschaft Neapels entstand.
    Der Nachhall dieses Volkskultes war noch in den siebziger Jahren zu spüren gewesen. Cutolo verschlang geradezu die blauäugigen Märchen um die Bosse der Vergangenheit wie Salvatore De Crescenzo und Ciccio Cappuccio. Als plagiierendem Dichter wie auch als Gangster war dem »Professor« viel daran gelegen, die Camorra von einst neu zu beleben. Er verkaufte den Rekruten die NCO ausdrücklich als die Erneuerung einer stolzen Gangstergeschichte. Wer ein
cutoliano
war, der hatte Wurzeln in der Vergangenheit.
    Bei einer Gelegenheit gelang es Cutolo sogar, eine gewalttätige Begegnung mit der einstigen Camorra zu inszenieren – verkörpert durch Antonio Spavone. 1926 in eine Familie

Weitere Kostenlose Bücher