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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Präsidenten gewählt.
    Dennoch fand Italien nach dem 23 . Mai sein Gleichgewicht nicht wieder. Am Abend nach Borsellinos Ermordung verfolgten 28  Millionen Menschen den Sonderbericht auf dem staatlichen Sender RAI , und weitere zwölf Millionen sahen das entsetzliche Geschehen auf privaten Kanälen. »Die Mafia erklärt dem Staat den Krieg«, lautete am Tag darauf die Schlagzeile einer überregionalen Zeitung. De facto herrschte bereits seit über zehn Jahren Krieg. Doch jetzt sah es ganz danach aus, als würde der Staat den Krieg
verlieren
. Damit nicht genug, das ganze Land schien auseinanderzubrechen.
    Am 16 . September 1992 , nach monatelangem Druck auf internationale Währungsmärkte, wurde die Lira aus dem europäischen Währungssystem gedrängt – dem Vorläufer der geplanten einheitlichen europäischen Währung. Der Schuldenberg, der von der »Parteiokratie« angehäuft worden war, hatte Italiens finanzielle Glaubwürdigkeit zerstört.
    Am Tag nach dem Ausscheiden der Lira aus dem europäischen Währungssystem tötete die Cosa Nostra einen weiteren Hauptbestandteil dessen, was einst der DC -Apparat in Sizilien gewesen war: Der Steuereintreiber Ignazio Salvo, der im Mammutprozess zu Fall gebracht worden war, wurde vor der Tür seiner Villa erschossen. Wie Salvo Lima bezahlte auch Ignazio Salvo für seine Unfähigkeit, die Cosa Nostra ausreichend vor Falcone und Borsellino zu schützen.
    Unterdessen hatte ein riesiger Korruptionsskandal begonnen. Gegen die Sozialistische Partei in Mailand wurde ermittelt. In den Sommer- und Herbstmonaten gerieten immer mehr Politiker und Parteifunktionäre ins Visier der Ermittlungen mit dem Namen
Mani pulite
(wörtlich »saubere Hände«). Der Skandal weitete sich aus, bis er die geschwächte »Parteiokratie« verschlungen hatte. Ende 1993 wurde bereits gegen etwa 200  Parlamentarier ermittelt. Im Januar 1994 wurde die
Democrazia Cristiana
offiziell aufgelöst. Die Erste Republik, wie sie heute genannt wird, war erledigt. Die Cosa Nostra hatte zu ihrem Tod beigetragen.
     
    Doch gerade weil das alte Regime ins Wanken geraten war, hatte Italien die Willenskraft gefunden, auf die allgemeine Unzufriedenheit zu reagieren und zurückzuschlagen. Indem sie Falcone und Borsellino ermordeten, hatten Totò Riina und seine Gefolgsleute die Vergeltung des Staates nicht nur gegen sich selbst gelenkt, sondern gegen die gesamte italienische Unterwelt. Für eine kurze und außergewöhnliche Zeitspanne zwischen Borsellinos Tod im Juli 1992 und dem Frühjahr 1994 zogen Italiens Institutionen die kriminellen Organisationen für mehr als ein Jahrzehnt des Schlachtens endlich zur Rechenschaft. Schon die blanken Zahlen spiegeln die Veränderungen. Zwischen 1992 und 1994 wurden infolge des Rognoni-La Torre-Gesetzes zur Bekämpfung der Mafia 5343  Menschen verhaftet. 1991 gingen in Italien 679  Tötungsdelikte auf das Konto der Mafia; 1994 waren es nur noch 202 .
    Unmittelbar nach dem Mord an Borsellino wurden 7000  Soldaten nach Sizilien abkommandiert, um die Polizei zu entlasten. Neue Antimafia-Gesetze wurden im Eilverfahren verabschiedet – Gesetze, die über 100  Jahre zu spät kamen, aber dennoch willkommen waren. Ein Zeugenschutzprogramm wurde eingerichtet. Und, was nicht minder wichtig war, Gangsterbossen wurden härtere Haftbedingungen auferlegt. Endlich hatte Italien Mittel und Wege, um zu verhindern, dass Gefängnisse wie der Ucciardone zu Kommandozentren für das organisierte Verbrechen wurden.
    Der Kampf gegen die Mafia wurde auch auf internationaler Ebene angekurbelt. Im September 1992 musste der Cuntrera-Caruana-Clan, ein wichtiges Mitglied im Heroin schmuggelnden Transatlantischen Syndikat, einen ernsten Schlag einstecken: Drei Cuntrera-Brüder, Pasquale, Paolo und Gaspare, wurden von Venezuela ausgeliefert.
    Ein neuer Oberstaatsanwalt aus Turin, Giancarlo Caselli, bewarb sich freiwillig für das Kriegsgebiet Palermo. Casellis Tapferkeit sowie seine unbedingte berufliche Integrität waren nicht die einzigen Eigenschaften, die ihn für den Posten qualifizierten. Er hatte bereits bei den Ermittlungen gegen die Roten Brigaden Ende der 1970 er, Anfang der 1980 er Jahre Lorbeeren geerntet. Er hatte Erfahrung im Umgang mit Kronzeugen und kannte die Härten des Lebens unter dem Schutz einer bewaffneten Eskorte. Er hatte außerdem Falcone in jeder Etappe seiner Auseinandersetzung mit dem Obersten Gerichtsrat unterstützt. Palermer Staatsanwälte waren energiegeladen wie nie

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